Schuld währt ewig
sollte sie sich doch mal was Neues kaufen.
Sie ließ sich aufs Sofa fallen, zog die Beine an und kuschelte sich in die Kissen. Thorsten setzte sich neben sie, schenkte Tee ein und reichte ihr eine Tasse.
Er erzählte ihr, dass seine Chefin gekündigt hatte und er sich für die freiwerdende Stelle des Pflegedienstleiters bewerben wollte. Sie zeigte ihm den alten Cellobogen, den sie restaurieren sollte. Jede Spur Befangenheit verflog. Thorsten verhielt sich wie immer. Also nahm er ihr die Zurückweisung nicht übel. Doch irgendwann bemerkte sie seine Anspannung. Etwas stimmte nicht mit ihm. »Ich rede die ganze Zeit von mir. Ist bei dir alles in Ordnung?«
Er stellte die Tasse ab. »Eigentlich nicht. Jens ist tot.«
Welcher Jens? In ihrem Hinterkopf rührte sich eine Information. »Der Architekt?«
Thorsten nickte. »Ein grauenhafter Autounfall.«
»Gott, wie furchtbar.« Sie wollte sich das nicht vorstellen und sah doch Blut auf Asphalt, sah Knochensplitter und verrenkte Gliedmaßen.
»Ich werde zur Beisetzung gehen. Schließlich war er einer meiner Schützlinge.«
Thorsten und seine Schützlinge. Immer war er für andere da, unerschütterlich Halt gebend. Jemand, der einen Teil der Kraft für sein Leben aus der Hilfe für andere zog. Mit der Hand strich sie über seinen Oberarm.
Ehe sie es sich versah, zog er sie an sich und schlang seine Arme um ihre Schultern. Sie spürte seinen Atem an ihrem Hals. Hoppla. Und kurz darauf seine Lippen. Was sollte das werden? Vorsichtig löste sie sich von ihm. »Wir sollten das nicht wiederholen.« Unwillkürlich rutschte sie auf dem Sofa ein Stück zurück.
Irritiert musterte er sie.
Seine Augen nahmen einen metallischen Schimmer an. »Keine Sorge. Ich zerre dich schon nicht ins Bett.«
13
Als Thorsten sich wenig später verabschiedete, war Sanne erleichtert. Sie räumte das Teegeschirr weg und ging in die Werkstatt. Durch das Fenster sah sie Herrn Kater auf die Hintertür zusteuern. Sie ließ ihn ein und streichelte ihn, bis er genug hatte, sich auf dem Schemel zusammenrollte und Sanne an die Arbeit zurückkehrte. Doch sie konnte sich nicht recht konzentrieren. Jens ist tot. Ein grauenhafter Unfall. Seit Thorsten das gesagt hatte, wollte etwas aus der Dunkelheit ihrer Erinnerungen an die Oberfläche.
Thorstens Schützling, Jens Flade. Sie hatte ihn vor Jahren ein- oder zweimal getroffen. In Lydias Gruppe. Er war bei einem Unfall gestorben. Genau wie das Kind. Tote Kinder. Würde das denn nie ein Ende haben? Diese Bilder, die immer wieder in ihr aufstiegen. Das Gefühl einer nahenden Bedrohung kehrte zurück. Unruhe und eine diffuse Angst brandeten in ihr an wie tosende Wellen, die ein aufkommender Sturm stetig verstärkte. Ich will nicht schlafen! Ich will nicht schlafen! Du bist keine Befehlerin! Noch mal!
Sanne stöhnte auf. Nicht schon wieder!
Sie verließ die Werkstatt, ging in die Küche und wusste nicht, was sie da wollte. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr. Der Highlander überquerte den gekiesten Weg. Mit gereckten Schultern und raumgreifenden Schritten steuerte er auf ihr Haus zu, als zöge er in den Kampf. Sein Blick erschien ihr finster. Unwillkürlich hielt sie nach dem Breitschwert Ausschau. Hamlet folgte ihm auf dem Fuß. Sanne atmete durch. Das sah nach Zoff aus. Einen Augenblick erwog sie, einfach nicht zu öffnen, da klingelte Domegall schon. Sie wappnete sich für die Auseinandersetzung, die es nun wegen ihrer Mail geben würde, und ging zur Tür.
»Werte Frau Nachbarin.« Eine angedeutete Verbeugung folgte. Echt Highlander, dachte Sanne irritiert.
»Wir kommen, um Abbitte zu leisten.«
Das klang freundlich, ganz und gar nicht nach Streit.
»Hamlet. Sitz.« Der Hund setzte sich. »Und jetzt: Entschuldigung.«
Hamlet legte den Kopf schief und sah Sanne mit großen Augen an, die aus dem zotteligen Fell hervorlugten. Dann hob er eine Pfote.
Widerwillig musste sie lächeln.
»Sie müssen seine Entschuldigung schon annehmen.«
»Sie meinen, ich soll …« Sanne deutete auf Hamlets Pfote.
»Er tut nichts. Wirklich. Und er entschuldigt sich für seine Untaten. Kater vertreiben. Unfreundlichen Frauen Angst einjagen.« Ein Funkeln erschien in Domegalls Augen. »Die meisten Menschen sind zu einer Entschuldigung nicht fähig. Und er ist nur ein harmloser Hund.«
Noch immer hielt Hamlet die Pfote erhoben und sah sie erwartungsvoll an. Unfreundliche Frauen. Okay, freundlich war sie bisher nicht gewesen. Sanne überwand ihren
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