Schuld währt ewig
Konsequenz gezogen.
Auch er hatte ein Recht auf die Sonnenseiten des Lebens. Und weil das so war, hatte er sich zunächst im Reisebüro nach Kreuzfahrten erkundigt und einen Stapel Prospekte nach Hause geschleppt. Atlantik und Kanaren. Indischer Ozean und Mauritius. Östliche Karibik. Noch schwankte er. Am meisten lockte ihn die Reise in den Indischen Ozean. Er dachte dabei an exotische Düfte, Basare, Gewürze, an tosende Brandung, dunkelhäutige Frauen in farbenprächtigen Saris, Palmen, Sand und Sonne. Vor allem an Sonne. Wärmende Strahlen, die den Schmerz aus seinen Knochen verjagten.
Vierzehn Tage, knapp fünftausend Euro inklusive Flug, für eine Suite, die er allein bewohnen würde. Wenn schon, dann wollte er sich Luxus gönnen. Er hatte auf siebentausend aufgerundet. Er brauchte passende Kleidung, und auf dem Schiff würde er auch Ausgaben haben. Wer weiß, vielleicht würde er eine nette Frau kennenlernen.
Bis gestern hatte er geträumt. Dann hatte er sich einen Ruck gegeben und gehandelt. Sprich, er hatte sich im Bahnhofsviertel ein nicht registriertes Prepaid-Handy gekauft und angerufen. Schließlich sah er häufig Krimis im Fernsehen. Das erwies sich nun als nützlich. Und er hatte es gut gemacht. Okay, es war ein etwas einsilbiges Gespräch geworden. Sein Gesprächspartner war verängstigt und verunsichert gewesen und hatte kaum etwas gesagt. Ein Waschlappen eben. Nur ein paar Worte hatte er gebrummt. Zustimmung jedenfalls.
Siebentausend Euro, und im Gegenzug würde Eugen ihm alle Fotos aushändigen und nie wieder von sich hören lassen. Er fühlte sich stark und mächtig wie noch nie. Wenn es sich derart gut anfühlte, auf der Gewinnerseite des Lebens zu stehen, dann war er bisher ein Idiot gewesen. So viel Selbstkritik musste sein.
Zeitpunkt und Ort für die Übergabe waren vereinbart. Eugen legte den Kreuzfahrt-Prospekt beiseite und stand auf. Es wurde Zeit für die Vorbereitungen. Ausgedruckt hatte er die Fotos gleich nach dem Frühstück. Nun brannte er alle Daten auf CD . Den Ordner auf dem PC löschte er selbstverständlich nicht. Er war nicht länger der Depp. Natürlich würde er die Fotos aufbewahren. Ab und zu eine kleine Reise und einmal im Jahr eine Kreuzfahrt. Der Todesfahrer , wie die Zeitungen ihn nannten, konnte sich das leisten, und falls nicht, musste er eben das Haus verkaufen oder eine Bank überfallen. Eugen war es egal, woher das Geld kam. Wichtig war nur, niemals eine wirklich große Summe zu verlangen. Wenn seine Forderungen nicht erfüllbar waren, würde der Kerl in seiner Not vielleicht zu radikalen Mitteln greifen. Und das wollte Eugen vermeiden.
Er packte die Bilder samt CD in einen wattierten Umschlag, steckte auch noch den Speicherchip der Kamera dazu und verließ die Wohnung. Noch drei Stunden bis zur Übergabe. Heute würde er das Auto nehmen. Natürlich gab er damit den Parkplatz auf, den sein Opel seit Wochen belegte. Und wenn er zurückkam, würde er keinen neuen finden. Egal. Notfalls parkte er auf dem Gehweg oder in der Feuerwehranfahrtszone. Ab heute würde er tun, was alle taten. Auf Regeln scheißen.
An der Windschutzscheibe haftete eine schmierige Schicht. Bis die Batterie widerwillig den Motor startete, dauerte es. Doch dann konnte Eugen die Scheibenwaschanlage betätigen, bekam freie Sicht und fuhr los.
Den Übergabeort hatte er klug gewählt. Am Feringasee war er oft mit Margot gewesen. Im Sommer zum Baden, in den unfreundlicheren Jahreszeiten zum Spazierengehen. Er kannte das Gebiet wie seine Westentasche, und er würde das Areal vorher inspizieren. Reine Vorsicht. Er glaubte zwar nicht, dass ihm der Kerl auflauern oder ihn in einen Hinterhalt locken würde, dennoch wollte Eugen auf Nummer sicher gehen.
Zweieinhalb Stunden vor dem Termin stellte er das Auto auf dem Parkplatz östlich des Biergartens ab. Im Sommer drängten sich hier Hunderte Fahrzeuge. Heute lag das Gelände verwaist im Nachmittagslicht, das trüb durch die Wolkendecke sickerte. Ein müder Wind strich durch die beinahe kahlen Bäume und zupfte letzte Blätter aus den Kronen. Schaukelnd fielen sie zu Boden. Es war kalt geworden. Eugen holte das Fernglas und ein Fachbuch über Ornithologie aus der Plastiktüte, die auf dem Beifahrersitz lag, und brach zu seiner Erkundungstour auf. Falls ihn jemand beobachtete, würde er Eugen als harmlosen Vogelliebhaber einstufen.
Während er den See umrundete und mit dem Fernglas das Areal absuchte, fühlte er sich ruhig und gelassen. Er hatte
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