Schuld währt ewig
ein wenig spröde und dennoch fest und unnachgiebig.
»Ebenfalls.«
»Tino? Schön, dass du von dir hören lässt. Ich wollte dich ohnehin die Tage anrufen. Wie geht es dir?«
»Gut.« Dühnfort lieferte einen kurzen Abriss seines Lebens und vergaß dabei Gina nicht, verschwieg allerdings, dass er der Vorgesetzte seiner Partnerin war. Sein Vater war ein konservativer Mann, ein echter Hanseat, der auf Benimm und Ausdruck großen Wert legte. Dennoch gab es in seinem Wortschatz eine Redewendung, die nicht zu ihm passte, die er aber hin und wieder benutzte, wenn sie ihm treffend erschien. Vater würde sagen: Scheiß nicht dort, wo du isst. Und diesen Satz wollte Dühnfort sich ersparen.
Schnell kam das Gespräch auf Weihnachten. Dühnfort fragte, ob sein Vater schon wusste, wo er feiern wollte. »Bei Julius oder fährst du ins Ferienhaus?«
»Das wollte ich mit dir besprechen. Wir wollen dieses Jahr ein richtiges Familienfest auf Sylt machen. Julius, Victoria, die kleine Lizzy, du und ich. Und Gina natürlich. Ich würde sie gerne kennenlernen. Was hältst du davon?«
Nichts. Gar nichts. Das hätte Dühnfort am liebsten gesagt. Julius, der Strebsame. Im vergangenen Jahr hatte er das Schlachtfeld verlassen, auf dem er den Kampf um Anerkennung, Liebe und Wertschätzung des alten Herrn ausgetragen hatte. Allerdings ohne zu bemerken, dass er sich schon seit Jahren alleine dort schlug. Dühnfort hatte sich längst davongemacht. Julius hatte das Siegerpodest erklommen. Er war derjenige, der Vater zum Großvater gemacht hatte. Seither verstand Dühnfort sich mit seinem Bruder zwar besser, aber nicht wirklich gut.
Er hatte auf stille Weihnachten gehofft, auf ein paar ungestörte Tage mit seinem Vater und Gina, auf einsame Strandspaziergänge und ruhige Stunden vor dem Kamin. Und nun würden Victoria und Julius alles durchorganisieren und durchplanen, würden jedes Sich-treiben-Lassen im Keim ersticken. Darauf hatte er keine Lust.
»Na, was meinst du?«
»Die Einladung kommt ein wenig überraschend. Lass mich darüber nachdenken. Ich melde mich.«
Dühnfort verabschiedete sich und sah wieder aus dem Fenster. Feiner Nebel hing wie ein nicht greifbares Gespinst zwischen den Häusern. Der Traum von einer Familie … Sein Bruder Julius hatte ihn verwirklicht. Und Dühnfort schämte sich ein wenig, dass er darauf neidisch war.
Es klopfte kurz an der Tür, gleichzeitig wurde sie geöffnet. Alois trat ein. »Tag, Tino.«
Dühnfort nickte ihm zu.
Heute trug Alois nicht Anzug wie meistens, sondern einen anthrazitfarbenen Pullover mit V-Ausschnitt zur grauen Hose und darunter ein weißes Hemd mit dezenter Krawatte. Immer tipptopp, dachte Dühnfort. Wenn er nur seinen Job ebenso ernst nehmen würde wie sein Äußeres.
Noch fünf Minuten bis zu ihrer Besprechung. Vermutlich war Alois früher gekommen, um zu erfahren, wer den Lehrgang besuchen würde. Dühnfort nahm seine Unterlagen und setzte sich zu Alois an den Besprechungstisch. Prompt kam die Frage. »Hast du schon entschieden, wer zum Lehrgang gehen wird?«
»Gina wird an dem Seminar teilnehmen. Tut mir leid. Aber wie du weißt, gibt es für unsere MK nur einen Platz.«
»Okay.« Das klang gedehnt und mürrisch. »Ehrlich gesagt habe ich nichts anderes erwartet.«
»Gut. Dann ist die Enttäuschung ja nicht ganz so groß.«
Alois schnaubte. »Du bist gut. Meinst du, ich habe keine Karrierepläne?«
»Gina ist länger dabei, und du weißt selbst, wie sie arbeitet. Da musst du erst noch hinkommen. Sie bringt einfach die bessere Qualifikation für eine Führungsposition mit.«
Alois blickte knapp an Dühnfort vorbei, Richtung Fenster. Seine Kieferknochen mahlten. Offenbar verkniff er sich eine Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, und das war gut so. Dühnfort hatte keine Lust, ihn zum wiederholten Male auf seine Versäumnisse hinzuweisen. Den folgenschwersten Fehler hatte er sich vor vier Monaten geleistet. Er hatte Angaben nicht vollständig überprüft und dadurch einen Verdächtigen aus dem Fokus rücken lassen, der kurz darauf einen weiteren Mord beging. Anderenfalls wäre das ziemlich sicher nicht geschehen.
In diese angespannte Situation trat Gina. Sie ließ sich auf den Stuhl neben Alois plumpsen und strich die störrische Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich komme gerade von der KTU . Buchholz lässt es sein. Die paar Krümel des Scheinwerfers geben nichts her, womit man auf einen Fahrzeugtyp schließen könnte. Er hat einfach zu wenig Material, und an dem sind
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