Schuld war nur die Badewanne
herunterfallenden Krümel aufzupicken; erstens war sie Stallälteste, und zweitens legte sie als Einzige Eier mit brauner Schale. »Mit ihrer politischen Einstellung hat das aber nichts zu tun«, versicherte Frau Löwe todernst, »soviel ich weiß, tendiert sie mehr zu grün.«
Steffi hatte unseren Fahrplan mitgebracht und studierte die Landkarte. »Dedelow habe ich gefunden, aber wo ist K.?«
»Nordöstlich davon.« Mit dem Finger deutete Frau Löwe auf ein winziges Pünktchen, das abseits aller größeren Straßen mitten in der Pampa lag. »Haben Sie da etwa auch eine Lesung?«
Ich nickte bedrückt. »Schon wieder in einer Schule! Hätte ich das vorher gewusst, würde ich mich auf dieses ganze Unternehmen niemals eingelassen haben. Leider habe ich die geänderten Termine erst dann bekommen, als es für einen Rückzieher schon zu spät gewesen ist. Dabei weiß ich gar nicht, was ich den Schülern vorlesen soll, ich schreibe nun mal keine Kinderbücher!«
Nach meinem missglückten Auftritt in Templin hatte ich zusammen mit Steffi überlegt, welche Passagen aus den mitgenommenen Büchern denn wohl am ungefährlichsten sein würden.
»Du darfst nichts nehmen, was im weitesten Sinne mit Reisen, Mode, Autos, Neuanschaffungen und moderner Technik zu tun hat«, hatte Steffi gesagt.
»Was bleibt denn da noch übrig? Höchstens ein paar Seiten aus meinem kinderreichen Muttertum. Da seid ihr alle noch ziemlich klein und weder an modischem Outfit noch an exotischen Urlaubszielen interessiert gewesen.«
»Aber du beschreibst sehr ausführlich den Zehnzimmer-Luxusschuppen, in dem wir damals gewohnt haben, und vor allem Wenzel-Berta. Weißt du denn nicht, dass man in Ossiland jahrelang sogar auf eine Zweizimmerwohnung warten musste? Da kannst du doch nicht von so einer Kapitalistenbleibe schwafeln! Und eine Haushaltshilfe hat’s im realen Sozialismus bestimmt nicht gegeben, da sind doch alle Menschen gleich gewesen.«
»Wenzel-Berta war keine Angestellte im üblichen Sinn, die hat zur Familie gehört.«
»Und wenn schon. Ihr habt sie doch bezahlt, oder nicht?«
Seufzend hatte ich das erste Buch zur Seite gelegt und das zweite gleich dazugepackt. Nicht umsonst hatte ich mich mit dessen Inhalt schon einmal gründlich in die Nesseln gesetzt. Die Schilderung meines Grüne-Witwen-Daseins in einem Vorort-Reihenhaus kam auch nicht in Frage, weil für Jugendliche nicht unbedingt geeignet. Was blieb denn dann noch übrig? Allenfalls die »Pellkartoffeln«, meine Kriegskindheit in Berlin, doch dieses Buch hatte ich erst gar nicht mitgenommen, und die Wahrscheinlichkeit, es hier irgendwo kaufen zu können, war kaum gegeben.
»Warum lesen Sie nicht einfach ein Kapitel an und erzählen es dann weiter?«, schlug Frau Löwe vor. »Fordern Sie die Kinder zu Fragen heraus! Stellen Sie selber welche! Geben Sie ruhig zu, dass sie nicht wissen, wie der Alltag von Jugendlichen hier bei uns ausgesehen hat, welche Musik sie gehört und welche Bücher sie gelesen haben. Suchen Sie nach Parallelen zu Ihren eigenen Kindern, lassen Sie auch Ihre Tochter zu Wort kommen, sie ist ja nicht auf den Mund gefallen und außerdem jung genug, den richtigen Umgangston zu finden.«
Zwar winkte Steffi sofort ab, doch was Frau Löwe sonst noch vorgeschlagen hatte, klang wirklich vernünftig. Ich nahm mir vor, künftig nicht mehr mit einem vorgefertigten Programm in eine Lesung zu gehen, sondern erst mal abzuwarten, wie sich mein Publikum zusammensetzte. Und ob überhaupt eins da sein würde! Schulklassen kann man abkommandieren, Senioren kommen freiwillig, aber was ist mit den Altersstufen dazwischen?
Die Dichterlesung in Dedelow ging schief. Die Herren und Damen Hauptschüler hatten zwar dankbar akzeptiert, dass meinetwegen eine Mathestunde ausfiel, waren jedoch weder an meinem gelesenen noch an meinem gesprochenen Wort interessiert. Sie ließen sich kaum mal aus der Reserve locken, vielmehr dösten sie vor sich hin und warteten – genau wie ich! – auf das Ende der Stunde. Als es endlich kam, schieden wir in dem gegenseitigen Bewusstsein, dass man sich diese Dreiviertelstunde auch hätte ersparen können.
»Idioten!«, schimpfte Steffi, die Schultür hinter uns ins Schloss donnernd. »Bornierte Affen allesamt! Anstatt dankbar zu sein, dass sich mal ein Besucher in diese Einöde wagt, sitzen sie da wie die Ölgötzen und halten es offenbar noch für großmütig, wenn sie überhaupt zuhören. Warum lässt du nicht einfach den Rest der Reise sausen,
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