Schuld war nur die Badewanne
besonders ausgefallenes Paar für sie finde, während Nicki eine Vorliebe für eine ganz bestimmte Maus hat (nein, es folgt keine Werbung!). Beide freuen sich aber auch über eine Tüte Gummibärchen.
Ein richtiges Gästezimmer erwartete uns, renoviert und neu möbliert, die weit geöffneten Fenster gaben den Blick frei auf eine Blümchenwiese, man hörte den Bach gluckern und die Bienen summen. »Ach, ist das hübsch!«, sagte Steffi sofort. »Wie im Urlaub!«
»Dafür ist das Zimmer auch gedacht«, bestätigte Frau Löwe. »Sie sind ein paar Wochen zu früh dran, denn das Bad ist noch nicht komplett.« Sie öffnete die angrenzende Tür, doch statt einer Baustelle sah ich ein ganz modernes, weinrot gekacheltes Badezimmer mit doppeltem Waschbecken und Duschkabine. Sehr intelligent muss ich wohl nicht ausgesehen haben, denn Frau Löwe beeilte sich zu erklären, dass dieses Bad selbstverständlich fertig sei, nur leider zurzeit noch von der Familie mitbenutzt werden müsse, weil deren eigenes ebenfalls renoviert werde. »Bis zum Sommer werden wir es wohl geschafft haben, und dann hoffen wir auf Feriengäste.«
Es ist mir heute noch ein Rätsel, wie es Frau Löwe gelungen ist, innerhalb weniger Stunden eine regelrechte Geburtstagsparty zu organisieren. Zweifellos war dieser Abend der amüsanteste und vor allem informativste der ganzen Reise, denn ich erfuhr mehr Einzelheiten über die Zustände in den neuen Bundesländern, als mir sämtliche Medien in den vergangenen anderthalb Jahren vermittelt hatten. Wer wusste denn schon, dass nicht nur wir Wessis den Solidaritätsbeitrag zahlen mussten, sondern auch die dortigen Arbeitnehmer? Von den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, im Behördenkürzel ABM genannt, hatte ich zwar gehört, mir jedoch nichts Näheres darunter vorstellen können. Ob es sehr sinnvoll ist, einer ehemaligen Fließbandarbeiterin beibringen zu wollen, wie man Bewerbungsschreiben aufzusetzen hat, erscheint mir genauso fragwürdig wie der Versuch, arbeitslosen Buchhalterinnen Kochkurse anzubieten. »Die meisten machen sowieso bloß mit, weil sie sonst überhaupt kein Geld kriegen«, wurde ich informiert, »und nach sechs Monaten, wenn die ABM ausgelaufen ist, können sie erneut reguläre Arbeitslosenunterstützung beantragen, damit kommen sie wieder eine Zeitlang über die Runden.«
»Könnte man das Geld für die ABMs nicht etwas effektiver einsetzen?«, überlegte Steffi laut. »So, wie Sie das alles schildern, klingt dieses ganze Unternehmen ziemlich unausgegoren.«
»Nicht nur das«, kam es aus einer anderen Ecke, »hier treiben die zweckgebundenen staatlichen Finanzspritzen mitunter absonderliche Blüten. Ich glaube, die neuerbaute öffentliche Bedürfnisanstalt mit Marmorwänden und Musikberieselung ist sogar in der westlichen Presse als Paradebeispiel kommunaler Verschwendungssucht erwähnt worden.«
»Kann man die besichtigen?«, wollte Steffi sofort wissen.
»Das nehme ich doch an. Allerdings steht dieses Luxuspissoir nicht hier bei uns, und ich kann Ihnen nicht mal sagen, wo genau.«
Immer neue Fragen fielen mir ein, die auch geduldig beantwortet wurden, und schließlich brachte Steffi die ganze Sache auf einen Punkt. »Diese Wiedervereinigung kommt mir ein bisschen so vor wie eine Urlaubsreise in ein fremdes Land. Monatelang freut man sich darauf, und wenn man hinkommt, ist man enttäuscht, weil man sich alles ganz anders vorgestellt hatte.«
Als Antwort kam das verhaltene Kichern einer jungen Frau. »Na ja, eigentlich hatten wir ja auch bloß mal ein bisschen verreisen wollen dürfen …«
Gegen Mitternacht, als die Mücken gelernt hatten, die Windlichter zu ignorieren, und sich direkt auf uns stürzten, zogen wir nach drinnen in die gemütliche Essecke, doch erst gegen zwei Uhr löste sich die Runde auf. Es kam auch wirklich kein Tropfen mehr aus den Weinflaschen.
Obwohl ich hundemüde und das Bett äußerst bequem war, konnte ich nicht einschlafen; zu viel ging mir im Kopf herum. Die Ossis waren doch gar keine unselbständigen, anspruchsvollen Schmarotzer, die darauf warteten, dass ihnen die gebratenen Tauben in den Mund flogen! Sie wollten nur die Chance und die Voraussetzung bekommen, ihr Leben selbst gestalten zu können, und damit liegt es vielerorts noch im Argen. Hatte Frau Löwe nicht erzählt, ihr Mann sei Lkw-Fahrer und für eine westdeutsche Spedition ständig zwischen Stuttgart und Lissabon unterwegs? Ein-, höchstens zweimal im Monat käme er nach Hause, aber sein Antrag,
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