Schuld war nur die Badewanne
Hinsehen als Gerste, aber sonst hatte sie recht; zum Wenden war der Weg zu schmal, und in den Feldern würden wir rettungslos stecken bleiben.
»Ich versuch’s mal rückwärts, vielleicht kommt ja irgendwo eine etwas breitere Stelle.« Ein paar hundert Meter zockelten wir im Rückwärtsgang, dann endlich zogen sich Treckerspuren durch die Kartoffeln, und dort gelang es Steffi, die Schnauze unseres Wagens wieder in die gewünschte Richtung zu bugsieren. Kurz darauf standen wir auf einer Landstraße zweiter Ordnung, die auch nicht viel besser aussah, doch wenigstens etwas breiter war.
Die Landkarte fiel schon von allein an der richtigen Stelle auseinander, so oft hatten wir sie benutzt. Gemeinsam beugten wir uns darüber, und prompt knallten unsere Köpfe zusammen. »Wir sollten uns wirklich mal einigen, wer zuerst guckt!« Ich befühlte meine linke Stirnhälfte, doch für eine Beule war die Kollision zum Glück zu schwach gewesen.
»Ich natürlich«, sagte Steffi, »du siehst doch ohne Brille sowieso nichts.« Minutenlang studierte sie die Karte. »Es gibt keinen anderen Weg nach K. als diesen Trampelpfad, auf dem wir eben schon langgerutscht sind.«
»Und wenn wir’s mal von der anderen Seite versuchen und zunächst auf dieser Straße bleiben?«
»Dann kommen wir in Polen raus«, meinte sie lakonisch, auf die dicke rote Grenzlinie deutend. »Wäre vielleicht gar keine schlechte Idee. Soll es da nicht besonders billige Zigaretten geben?«
Ein Radfahrer wurde unsere Rettung. Lange bevor er uns erreicht hatte, stieg Steffi aus dem Wagen und breitete die Arme aus. Der junge Mann hielt auch sofort an.
»Hoffentlich keine Panne?« Seine Stimme klang richtig besorgt. »Die nächste Reparaturwerkstatt gibt es erst in Prenzlau.«
»Noch sind alle vier Räder dran«, antwortete Steffi, »aber bestimmt nicht mehr lange, wenn dieser durchlöcherte Eselspfad da drüben der einzige Weg nach K. ist.«
Er grinste. »Nach K. wollen Sie? Warum fahren Sie nicht lieber woanders hin?«
Sie nickte zustimmend. »Das frage ich mich ja auch. Aber es geht nun mal nicht anders.« Vorsichtig sah sie sich nach allen Seiten um, bevor sie im Flüsterton weiterredete. »Wir sind nämlich mit Lech Walesa verabredet.«
Nur einen kurzen Augenblick stutzte ihr Gegenüber, dann lächelte es verstehend. »Also habe ich mich doch nicht geirrt! Der ist eben an mir vorbeigefahren. Neben ihm saß Gorbatschow!«
Steffi lachte laut los. »Gut pariert!«, meinte sie anerkennend. »Aber nun mal im Ernst: Wir müssen wirklich nach K. und wissen nicht, wie wir hinkommen. Entweder stimmt die Karte nicht, oder die markierte Straße ist plötzlich abhanden gekommen.«
Der junge Mann lehnte sein Rad an einen Baum. »Zeigen Sie mal her!«
Nachdem er sich in das Gewirr von braunen, gelben und weißen Linien vertieft hatte, schmunzelte er. »Die Karte stimmt, nur die Dimensionen nicht! Die Straße, die Sie völlig zu Recht Eselspfad nennen, ist tatsächlich der kürzeste Weg nach K., nur nicht der beste. Wenn Ihnen Ihre Stoßdämpfer lieb sind, nehmen Sie einen Umweg in Kauf und fahren über C.«
Das taten wir denn auch, und damit wäre das aufregendste Erlebnis dieses Nachmittags bereits erzählt. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass sich auch in Ossiland die Schüler nicht mehr so einfach abkommandieren lassen! Jedenfalls nicht nachmittags!
»Ich bin ja schon damals nicht gern zur Schule gegangen, aber jetzt weiß ich wenigstens, warum nicht!«, sagte Steffi später. »Da hat sich in den letzten zehn Jahren auch nichts getan. Und wenn du morgen Vormittag wieder den Pausenclown spielen sollst, dann ohne mich! Ich weigere mich strikt, auf dieser Reise noch mal ein Schulhaus zu betreten!«
»Ich auch!« Wütend warf ich die beiden Bücher auf den Rücksitz und steckte mir eine Zigarette an. »Pausenclown ist der richtige Ausdruck! Hab ich es denn nötig, mich von diesen halbstarken Rotzlöffeln zur Minna machen zu lassen? Kommt nicht mehr in Frage! Die restlichen Schulveranstaltungen werden abgesagt. Basta!«
»Jawoll!«, bekräftigte Steffi und kramte auch gleich in ihren Unterlagen. »Hoffentlich stehen hier nicht nur die Adressen, sondern auch die Telefonnummern drin. Darauf habe ich noch nie geachtet.«
»Das wäre nun wirklich das geringste Problem. Sogar in Ossiland hat’s Telefonbücher gegeben.«
Endlich hatte Steffi das Gesuchte gefunden. »Glück gehabt, morgen hast du nur einen Auftritt am Nachmittag. In Eberswalde.«
Eberswalde?
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