Schuld war nur die Badewanne
aber öffnete sich sofort die Tür. »Ich wollte gerade den Mülleimer runterbringen«, sagte Dagi, ihn gleich wieder abstellend, »aber nun habe ich einen triftigen Grund, das erst mal zu verschieben. Und so richtig voll ist er ja noch gar nicht.«
»Gib her, das kann ich doch machen.« Steffi bückte sich, doch Dagi beförderte den Eimer mit einem Fußtritt in die Ecke. »Eben nicht! Da sind nämlich drei verschiedene Abteilungen drin, alle rausnehmbar, und für jede braucht man eine andere Tonne. Wehe, wenn da was verwechselt wird! Unser Hausmeister hat einen Lehrgang in Müllologie mitgemacht, glaube ich wenigstens, denn um das Unkraut im Vorgarten kümmert er sich nicht mehr, aber er kann dir genau sagen, wer vorgestern den Joghurtbecher in den falschen Container geschmissen hat.« Sie zog uns in die Wohnung und schloss die Tür. Plötzlich kicherte sie. »Wenn das Emmchen noch erlebt hätte …!«
»Was erlebt?«
»Dass man seine Brille aufsetzen muss, um eine Heringsdose in den Mülleimer zu werfen.«
»Verstehe ich nicht«, sagte Steffi.
»Noch nicht! Du kannst ja noch mit bloßem Auge erkennen, was unten drunter steht, und ob die leere Quarkpackung nun zu PP , PE oder PS gehört. Was haben übrigens Autos mit Müll zu tun? PS heißt doch Pferdestärke?«
Bald saßen wir auf dem Balkon, tranken Kaffee, gabelten Erdbeertorte und erstatteten Bericht. Im Gegensatz zu uns, die wir zum ersten Mal mit den neuen Bundesländern konfrontiert worden waren, war für Dagi das Gebiet um Berlin herum inzwischen vertrautes Revier. »Ich hab das ja auch alles nicht gekannt, aber jetzt bin ich schon oft einfach ins Blaue gefahren, allein oder mit Victor, wenn er mal dazu aufgelegt war. Ihr hättet gleich nach der Wende herkommen müssen, da hat alles noch viel trostloser ausgesehen. Jetzt erkennt man doch überall schon Fortschritte!«
»Ja, und wie!«, sagte Steffi sofort. »Auf der einen Allee, ich weiß nicht mehr, wie die hieß, haben sie von den herrlichen Bäumen die ganzen Kronen gekappt.«
Dagi nickte. »Ich weiß. Aber mit jedem gefällten Baum verringert sich auch die Waldbrandgefahr«, meinte sie trocken. »Will noch jemand Kaffee?«
Nach nur gut sieben Stunden Fahrzeit (angeblich!) trudelte die Ablösung ein. Übrigens war sie zu dritt. Horst Hermann war auch mitgekommen. Also noch einer mehr beim Japaner! Oder vielleicht doch nur sechs? Victors Zusage fehlte noch.
»Lass den bloß zu Hause!«, hatte Dagi empfohlen, nachdem ich ihr unser Abendprogramm unterbreitet hatte. »Der nervt seit heute Morgen! Was glaubst du wohl, weshalb ich nicht ans Telefon gehe?«
»Ehekrach?«
»Nee, Eifersucht! Er bildet sich doch ein, dass ich mit euch heute um die Häuser ziehe! In dem Glauben habe ich ihn ja auch gelassen, und jetzt will er dauernd kontrollieren, ob ich noch da bin.« Sie bleckte die Zähne. »Der ist wie ’ne Milchflasche! Lässt man ihn mal stehen, wird er sauer!«
»Eben! Weshalb soll er denn nachher nicht mitkommen? Soll ich ihn mal anrufen?«
»Nicht nötig. Wenn es gleich wieder klingelt, gehst du einfach ran.«
Victor raspelte Süßholz. Am Telefon kann er das am besten, weil ihm sein Opfer nicht direkt gegenübersteht. Mein letztes Buch habe ihm hervorragend gefallen, sagte er, es sei ganz große Klasse. Dabei weiß ich genau, dass er noch nie eins von mir aufgeschlagen hat, sich höchstens von Dagi davon erzählen und ein paar Passagen daraus vorlesen lässt. Dass ich Bücher schreibe, findet er nicht sonderlich bemerkenswert, doch dass ich damit Geld verdiene, imponiert ihm. Letztendlich bin ich eine Frau, wäre ohne Mann also gar nicht überlebensfähig, und es beunruhigt ihn immer wieder, dass seine Vorstellung von einer Ehefrau und Mutter auf mich sogar nicht zutrifft. Dass sie auch zu Dagmar nicht passt, scheint er nicht wahrhaben zu wollen.
Victor ist ein Macho par excellence, aber ich mag ihn trotzdem. Oder gerade deshalb, denn diese Spezies stirbt allmählich aus, und Prachtexemplare wie er haben in unseren Breitengraden wirklich schon Seltenheitswert.
Meine Einladung für den Abend lehnte er erst einmal ab. Nicht etwa deshalb, weil er sich von einer Frau nicht das Essen bezahlen lässt, sondern weil ich – und vor allem Dagi – auf die Idee kommen könnten, er habe nichts Besseres zu tun. »Vielen Dank, doch das geht auf keinen Fall. Ich stecke bis über beide Ohren in Arbeit.«
Verständlich. Er ist nicht umsonst Unternehmer geworden. Nun darf er freiwillig sechzehn
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