Schuld war nur die Badewanne
nachher wieder«, sagte ich nach einem Blick auf meine Uhr. »Jetzt muss ich schleunigst weg, sonst schaffe ich meinen Termin nicht mehr.«
Gefolgt von Nicki hastete ich die Treppe hinunter, öffnete die Haustür, sprang mit einem Satz die drei Stufen hinab und – holte erst einmal tief Luft. Jawohl, ich war ein Feigling, der nicht genug Courage gehabt hatte, die Wahrheit zu sagen, dass wir nämlich auf gar keinen Fall zurückkommen, sondern uns auf eigene Faust eine Unterkunft suchen würden. Aber was hätte ich denn als Grund anführen sollen? Dass ich nicht in ungelüfteten Betten schlafen und mich nicht vor einem schmuddeligen Becken waschen wollte? So was kann man doch nicht bringen! Dann schon lieber feige sein! Allerdings würde ich mit den Damen von der Bücherei mal ein paar Takte reden müssen! Doch das hatte Zeit bis heute Abend, das Wichtigste war jetzt ein neues Nachtquartier. »Wie heißt die nächstgrößere Stadt?«
Nicki hatte bereits die Karte aufgeschlagen. »Seelow«, sagte sie, »liegt ungefähr zwölf Kilometer weit weg.«
»Dann auf nach Seelow!«
Gleich vorne am Marktplatz fanden wir eine Telefonzelle – allerdings mit dem nun schon sattsam bekannten Aufkleber an der Tür: Demnächst in Betrieb. Schade, dass man aus recycelten Milchtüten keine Telefonapparate machen kann, vielleicht fände man dann gelegentlich mal eine betriebsbereite Zelle. Wenigstens ein Telefonbuch gab es noch, reichlich zerfleddert, der Buchstabe H=Hotels war aber noch vollständig. Oder doch nicht? Es war kein einziges Hotel aufgeführt.
»Versuch’s mal unter
Gaststätten
«, empfahl Nicki, »ich glaube nicht, dass es hier ein richtiges Hotel gibt.«
Wir probierten alles durch, was eventuell in Frage kommen könnte, denn wo man noch Broiler isst statt Brathähnchen, übernachtet man vielleicht auch noch in
Wirtshäusern
und nicht in
Gasthäusern,
nur fanden wir weder das eine noch das andere. Wir fanden überhaupt nichts, was nach Übernachtungsmöglichkeit klang. Jedenfalls nicht im Telefonbuch. Nicki klappte es zu, und was stand unübersehbar auf dem Einband??? »Das ist ja bereits ein bibliophiles Sammlerstück!«, jubelte sie los. »Jahrgang 1986 ! Kein Wunder, dass wir umsonst darin geblättert haben!«
Einzusehen, doch wo gab es ein neueres Exemplar? Logischerweise auf der Post, nur hat die mittags um ein Uhr zu; wenigstens darin haben die Ossi-Postler mit ihren westdeutschen Kollegen gleichgezogen.
Wo ein Platz ist, ist auch ein Café – das ist ein ungeschriebenes Gesetz und gilt in allen Ländern. Der einzige Unterschied besteht lediglich in der jeweiligen Bezeichnung und natürlich in den Preisen. Eines der teuersten, die ich kenne, ist das Caffè Greco in Rom, das billigste habe ich in Mombasa entdeckt, da hieß es
Bar,
und eine Tasse
kawaha
kostete umgerechnet noch keine zehn Pfennig – allerdings hatte er auch danach geschmeckt!
Das Etablissement am Seelower Marktplatz nannte sich Eisdiele, hatte jedoch auch kleine Snacks auf der Speisekarte, denn ich hatte inzwischen feststellen müssen, dass Nicki – genau wie ihre Schwester Stefanie – pünktlich gefüttert werden wollte. Die normale Zeit war bereits überschritten, darüber hinaus wissen Briefträger, Friseure und Kellner immer mehr als andere Leute – es war also nur logisch, dass wir erst mal eine Pause einlegten. Danach waren wir klüger! Auch in einem neueren Telefonbuch hätten wir kein Gasthaus und erst recht kein Hotel gefunden, weil es weder das eine noch das andere gab. »Es wird ja geredet, dass eins gebaut werden soll«, hatte uns die nette Bedienung verraten, »aber so lange werden Sie wohl nicht warten wollen?«
»Eigentlich wollten wir schon heute irgendwo schlafen«, bestätigte ich. »Sind denn niemals Gäste hergekommen, die ein Bett brauchten?«
»Was sollen Gäste schon gewollt haben?« Das junge Mädchen lächelte verhalten. »Hier gab es bloß Besucher, und die haben bei ihren Verwandten geschlafen.«
»Und daran hat sich bis heute nichts geändert?« Ich konnte das einfach nicht glauben! Wir hatten genug Autos mit westdeutschen Kennzeichen gesehen, darunter viele Firmenwagen, aber deren Insassen hatten nicht so ausgesehen, als wollten sie nur mal eben Onkel und Tante besuchen. Wo also übernachteten die ganzen Wessis? In Quartieren wie bei Frau Schulze? Mit Badeofen neben dem Fenster und runtergetretenen Hausschlappen vorm Klo? Nein danke, dann schlafe ich lieber in meinem Auto, obwohl das nicht mal
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