Schuld war nur die Badewanne
sie grinsend. »Wenn ich den Schnorff kriege, mache ich die obersten Knöpfe alle wieder auf. Der steht auf so was. – Guck nicht so entgeistert, Paps, der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel.«
»Wer sagt das?«
»Machiavelli.«
»Na, du kennst vielleicht Leute …«
Herr Schnorff war nicht da, ein Striptease also weder erforderlich noch überhaupt erwünscht. Der Herr Lehrbeauftragte war bereits dreifacher Großvater und gegen weibliche Reize weitgehend immun.
»Bloß seinetwegen habe ich die Einskommafünf gekriegt«, giftete Katja später, »und wisst ihr, warum?«
Das wussten wir natürlich nicht. »Fachlich hatte er überhaupt nichts auszusetzen, aber mein Sitzkreis ist ihm zu klein gewesen.«
»Ich dachte, du bist in Deutsch geprüft worden und nicht in Sport«, wandte ihr Vater ein.
Als seelischer Mülleimer und zuständig für Frustabbau war ich etwas besser informiert. »Den Sitzkreis macht sie doch oft, wenn sie den Schülern erst mal etwas mündlich erklären will.«
»Aha. Und dazu wird vorher das Klassenzimmer umgeräumt?«
»Paps, die Zeiten, wo man in Zweierreihen hintereinander saß, sind doch längst vorbei. Heute sind die Tische U-förmig angeordnet.«
»Wirklich?« Rolf warf seiner Tochter einen verträumten Blick zu. »Dann hätte ich ja von zwei Seiten abschreiben können.«
»Also der Sitzkreis war zu klein«, wiederholte ich, »und was weiter?«
»Angeblich haben die Kinder zu dicht aufeinander gesessen, das hätte ich als Lehrerin bemerken müssen, und deshalb bin ich eine halbe Note heruntergestuft worden. Dabei hatte ich angenommen, meine didaktischen Fähigkeiten hätten zur Debatte gestanden und nicht mein Talent als Innenarchitektin.«
Den halben Nachmittag wetterte sie noch herum, unterstützt von ihrem Zwilling, der den letzten Schulamtsauftrieb schon vor einer Woche hinter sich gebracht hatte. »Natürlich war das eine Gemeinheit, aber der halbe Punkt wirft dich doch nicht zurück?«
»Hast du ’ne Ahnung! Das wäre doch mein Bonus fürs Mündliche gewesen.«
Sind die praktischen Prüfungen erst mal vorüber, schaltet der Referendar im Unterricht auf Sparflamme. Er muss sich ja auf das mündliche Examen vorbereiten. Dazu gehört ein Wälzer vom ungefähren Umfang des Bürgerlichen Gesetzbuches, der den Titel »Schulrecht« trägt und in dem alles das steht, was Lehrer beachten müssen, nicht dürfen, zu befolgen haben, und was passiert, wenn sie es nicht tun. Einige Rechte haben sie aber auch. »Weißt du, was man unter Kranzgeld versteht?«, fragte mich Katja, wieder einmal über den Paragraphen brütend.
Darüber hatte ich schon mal etwas gelesen, doch das war lange her. »Ich glaube, Kranzgeld musste früher ein Bräutigam zahlen, der sich offiziell verlobt, dann aber vor der Hochzeit gedrückt und seine Braut sitzengelassen hatte.«
»Also bloß eine blumige Umschreibung für Alimente?«
»Unsinn! Bevor es so weit gekommen wäre, hätte er die Braut heiraten
müssen
oder nach Amerika auswandern. Kranzgeld war wohl eher eine Art Entschädigung für die schon gekaufte Aussteuer, für das Brautkleid und vor allem für die Blamage. Verschmähte Bräute hatten damals kaum Chancen, doch noch einen Mann abzukriegen.«
»Hier steht aber ganz was anderes.« Mit dem Zeigefinger fuhr sie die Seite herunter, bis sie die betreffende Stelle gefunden hatte. »Einem vor seiner Pensionierung verstorbenen Lehrer steht als Grabschmuck ein Kranz zu, der im Sommer 160 Mark kosten darf und im Winter 180 , weil zu dieser Jahreszeit die Blumen teurer sind.«
Sven schleppte kiloweise Bücher an. Schon in frühester Kindheit ein Naturapostel, der dicke schwarze Spinnen streichelte und ein abgeknicktes Gänseblümchen im Eierbecher vor dem frühzeitigen Verwelken bewahrte, hatte er im Laufe der Jahre zahllose Werke gekauft, die alle etwas mit Feld, Wald, Wiese, Dschungel, Savanne und jeglicher Art von Gewässern zu tun hatten. »Hast du auch was über Ameisen?« Sven hatte.
»Ich verwechsle immer die Laubbäume, du kennst dich doch da aus. Kannst du mir mal helfen?« Sven half.
»Weißt du, welche Vögel bei uns überwintern?« Sven wusste.
»Wozu braucht ihr denn das alles?«
»Heimat- und Sachkunde«, bekam ich zur Antwort.
Etwa sechs Wochen vor Beginn der Sommerferien war es so weit. Züchtig gewandet und wohlversehen mit guten Ratschlägen (»Nie nach unten gucken, das wirkt immer unsicher!«) schlichen sie los, und ich bezog wieder Posten neben dem Telefon.
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