Schuld war nur die Badewanne
lange in ihrem ehemaligen und immer noch vollgestopften Kleiderschrank herum, und erst nachdem sie wirklich keinen plausiblen Grund zum Bleiben mehr fand, zog sie wieder ab.
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie ihre so hartnäckig verteidigte Selbständigkeit schon bereut.« Nachdenklich blickte Rolf seiner Tochter hinterher. »Sehr zufrieden hat sie nicht ausgesehen.«
»Sie ist kreuzunglücklich, aber das wird sie nicht zugeben. Katja ist kein Mensch, der lange allein bleiben kann. Sie braucht immer jemanden zum Reden.«
»Dann schenk ihr einen Wellensittich, die lernen das ziemlich schnell!«, sagte der unsensible Vater und vertiefte sich wieder in die Lebenserinnerungen von Herrn Schmidt, Bundeskanzler i.R.
Als Nächstes pinnte Katja ihren Stundenplan an die Küchentür, »damit du weißt, wie lange ich in der Schule zu erreichen bin. Die Nummer vom Sekretariat steht unten drunter. Es kann ja immer mal was sein!«
»Was denn zum Beispiel?«
»Na ja, du könntest die Treppe runterfallen und dir ein Bein brechen oder …«
»In diesem Fall käme ich erst gar nicht ans Telefon ran«, unterbrach ich sie, »und selbst wenn, dann würde ich den Arzt anrufen und nicht eure Sekretärin.«
»Ich meine ja auch bloß«, sagte sie kleinlaut. »Es könnte ja auch sein, dass du mal bei mir vorbeikommst, und dann bin ich gar nicht da.«
»Doch, das könnte sein«, gab ich zu, »aber da wir nur wenige hundert Meter auseinander wohnen, wäre ein vergeblicher Weg durchaus zu verkraften.« Es fiel mir so schwer, Katja nicht in den Arm zu nehmen und das zu sagen, worauf sie ganz offensichtlich wartete. Aber ich tat es nicht. Diesmal musste sie den ersten Schritt tun. Oft genug hatten wir ihr zugeredet, für die Zeit ihres Referendariats noch einmal bei uns zu wohnen, und immer wieder hatte sie das abgelehnt. »Wir würden uns ja doch ständig in den Haaren liegen. Nicki hat sich an meine planmäßige Unordnung gewöhnt, aber du würdest garantiert ausflippen.«
»Solange sich das Chaos auf dein Zimmer beschränkt, wäre es mir egal«, hatte ich ihr zugebilligt, doch darauf war sie nicht eingegangen. »Das hast du früher auch immer gesagt, und dann bist du doch mit dem Staubsauger durch die Bude getobt. Meinen kleinen blauen Ohrstecker habe ich nie wiedergefunden!«
Nein, diesmal musste ich hart bleiben, sonst würde sie mir bei der ersten Meinungsverschiedenheit aufs Butterbrot schmieren, dass
ich
ja auf ihre Rückkehr bestanden hätte, obwohl sie doch gar nicht … Und zum Schluss würde es dann so aussehen, als wäre Katja nur meinetwegen wieder zu Hause eingezogen.
Doch vorläufig gab sie noch nicht nach. Sie kam zwar fast täglich vorbei, weil sie etwas im Lexikon nachschlagen musste, Papis Vergrößerungsapparat brauchte oder von mir wissen wollte, wie Kreuzstich geht. »Da drücken die mir doch tatsächlich textiles Werken rein, obwohl ich es gerade so schaffe, einen Faden in die Nadel zu ziehen!«
Als ich noch zur Schule ging, hatte dieses Fach Handarbeit geheißen und war mir genauso verhasst gewesen wie später meiner Tochter. Deshalb konnte ich ihr auch nicht sagen, wie Kreuzstich geht.
Das nächste Mal hatte sie einen Mantel über dem Arm. Ob ich den wohl zur Reinigung bringen könnte? Sie käme nicht dazu, hätte es auch schon ein paarmal vergessen, aber wenn sie wirklich daran dächte, dann sei garantiert Mittwochnachmittag, und da sei ja bei uns im Ort tote Hose. Und hier der Abholzettel für die Schuhe, könnte ich die wohl auch gleich …?
Wann sie zum ersten Mal am Esstisch saß und die Diktathefte auspackte, weiß ich nicht mehr, es muss schon im Frühjahr gewesen sein, weil ich im Garten Wäsche aufgehängt hatte. »Hier scheint wenigstens die Sonne rein!«, begründete sie das Stillleben auf dem Tisch. »Bei mir kriege ich höchstens abends ein paar Strahlen ab.« Dann wurde es langsam wärmer, ich schrubbte die Fliesen, entstaubte die Terrassenmöbel, entmottete den Sonnenschirm, ölte den Mechanismus der ausziehbaren Markise und erklärte schließlich die Freiluftsaison für eröffnet. Worauf Katja künftig gleich nach Schulschluss bei uns aufkreuzte und bald nur noch zum Schlafen in ihre eigene Wohnung zog.
Natürlich gab es auch Ausnahmen. Die Wochenenden zum Beispiel, wenn sie nach Heidelberg zu Tom fuhr. Oder die Nachmittage bei Nicki, die sich im Gegensatz zu ihrer Schwester in ihren ersten eigenen vier Wänden so wohl fühlte, dass sie sich bei uns nur selten sehen ließ. Kamen
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