Schuld war nur die Badewanne
Freunde oder Freundinnen, dann suchten sie Katja natürlich zuerst in ihrer Wohnung, wussten jedoch, wo sie sie möglicherweise auch finden würden. Es konnte durchaus passieren, dass Rolf nach Hause kam, sich mit Post und Tageszeitung auf die Terrasse setzen wollte und sie von mehreren jungen Damen bevölkert fand, die sich ihren Frust über Schulräte, Mentoren, Lehrpläne und vor allem Schüler von der Seele redeten.
Einem ungeschriebenen Gesetz zufolge verkehren nämlich Lehrer in erster Linie mit anderen Lehrern. Böse Zungen behaupten, es läge daran, dass Lehrer über nichts anderes reden könnten als über schulische Belange und deshalb bei Nicht-Pädagogen erst auf Unverständnis, dann auf Ablehnung stoßen, aber das stimmt nicht. Am liebsten reden Lehrer über das, was sie eigentlich hätten werden wollen, wenn sie nicht Lehrer geworden wären.
Und dann kam der Tag – es war einer von den lauwarmen Vorsommerabenden –, an dem Katja beim gemeinsamen Abendessen so ganz nebenbei fragte: »Steht eigentlich euer Angebot noch?«
»Ja, du kannst meinen Wagen kriegen, wenn ihr nach München fahren wollt«, sagte ich, »das hatte ich dir doch versprochen.«
»Danke, aber das meinte ich gar nicht«, kam es zögernd zurück.
»Wenn es um das Plakat für euer Sommerfest geht, dann kannst du deinem Rektor sagen, dass er es Ende nächster Woche ganz bestimmt bekommt!« Dabei hatte Rolf seine voreilige Zusage schon x-mal bereut, nur war ihm noch keine glaubhafte Entschuldigung eingefallen, wie er sich davor drücken könnte.
»Wer redet denn von Peanuts«, sagte Katja. »Ich habe gefragt, ob ich bis zum Ende des Referendariats, also bis zum Juli nächsten Jahres, wieder hier einziehen kann.«
»Woher dieser Sinneswandel?«, erkundigte sich der Vater, dessen Aufmerksamkeit mehr der Braunschweiger Dosenleberwurst galt als seiner Tochter. »Ich denke, wir behindern dich in deiner freien Entfaltung?«
»Weißt du, Paps«, sagte sie grinsend, »ich habe mir gedacht, dass die noch eine Weile warten kann.«
Nun ging das gleiche Spiel von vorne los – bloß umgekehrt. Sven nahm Bett und Kleiderschrank wieder auseinander, am Wochenende demontierte Tom die Regale, Nicki und ich halfen beim Einpacken von Büchern und Geschirr, lediglich Hannes und sein LKW mit Hebebühne wurden nicht gebraucht. Der Autoanhänger von unserem Milchbauern genügte, auch wenn es einen ganzen Tag lang ständigen Pendelverkehr zwischen den beiden Häusern gab und unsere Nachbarn ihre Wochenendeinkäufe einschließlich Bierkasten vom Parkplatz ins Haus schleppen mussten, weil die Zufahrt von diversem Kleinmobiliar blockiert war. Davor eine entnervte Katja mit Zollstock, die nicht begreifen wollte, dass die Kommode nicht dorthin passen würde, wo sie hin sollte. »In Heidelberg hatten wir doch auch schräge Wände!«
»Aber auf der anderen Seite«, sagte Nicki. »Entweder musst du das Bett nach links …«
Das Bett kam nicht nach links, dafür kam die Kommode erst mal in den Keller, wo sie heute noch steht. Das, was in der Kommode Platz finden sollte, wurde – natürlich nur vorübergehend – zunächst auf dem Sofa gestapelt, später sortiert, so dass nur noch die Unterwäsche dort liegen blieb, während Socken, Schals und die nicht so empfindlichen Dinge in einer Ecke auf dem Boden landeten. Da blieben sie bis zu Katjas endgültigem Auszug. Für die Slips fand sie nach längerem Suchen dann doch noch ein weniger ins Auge stechendes Plätzchen, nämlich unten im Nachttisch. Da hatte sie sonst immer das aufbewahrt, was nicht mehr in die Schreibtischfächer gepasst hatte, also sieben bis elf Sorten Briefpapier – selbstverständlich ungebleicht –, alte Notizbücher, Fotos, steinharte Lebkuchenherzen mit Inschrift, einzelne Socken, deren Pendants zwar nie wieder aufgetaucht waren, die sich aber doch noch anfinden könnten, und natürlich Unmengen von einzelnen Zetteln, die Katja unbedingt erst durchsehen musste, bevor sie – eventuell! – vernichtet werden könnten. In Ermangelung eines geeigneteren Platzes deponierte sie den größten Teil dieser Schätze auf dem breiten Fensterbrett, von wo sie unzählige Male nicht nur runter, sondern oft genug durch die Gegend flogen, sobald das Fenster gekippt war und gleichzeitig die Tür geöffnet wurde.
»Wenn man die Größe des Raumes in Relation zur Wüste setzt, würde ich sagen, dass sich das Chaos in Katjas Zimmer schneller ausbreitet als die Sahara in Nordafrika«, sagte Rolf,
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