Schuldig wer vergisst
rauen Stimme. Sie trat beiseite, um sie hereinzulassen.
Wieder folgten sie ihr in das sterile Wohnzimmer. Neville lehnte ihre Aufforderung, sich hinzusetzen, dankend ab und zog es vor, ihr die schlechte Neuigkeit im Stehen zu überbringen. Dafür bedeutete er ihr mit einer stummen Geste, sich zu setzen.
Sie ließ sich in einem Sessel nieder und blickte von Neville zu Cowley. »Mrs Norton«, fing Neville an. Gott, wie er das
hasste. »Leider haben wir möglicherweise schlechte Neuigkeiten für Sie.«
Morag Hamilton zitterte am ganzen Körper und zog ihren Mantel enger um sich. »Hätten Sie was dagegen, dass wir weiterlaufen?«, fragte sie. »Es ist schrecklich kalt heute Morgen.«
Callies erster Impuls war, Morag in die Arme zu schließen, doch deren Körpersprache ermunterte sie nicht dazu. Stattdessen lief sie im Gleichschritt neben ihr her Richtung Park. »Wann haben Sie … wann haben Sie das erfahren?«, fragte sie vorsichtig.
»Gestern. Die Spezialistin rief gestern an und hat mir die Untersuchungsergebnisse mitgeteilt. Natürlich hatte ich schon seit einer ganzen Weile den Verdacht. Das ist normal, wenn man seinen eigenen Körper kennt, nicht wahr? Besonders wenn man«, fügte Morag mit einem ironischen Lächeln hinzu, »den größten Teil seines Lebens an der Seite eines Arztes zugebracht hat.«
»Was … was hat sie denn genau gesagt?« Sie wollte nicht in sie dringen und Fragen stellen, die Morag nicht beantworten wollte – ›Was für ein Krebs ist es denn?‹ oder ›Haben sie ihn früh genug erkannt?‹ oder ›Wie lange geben sie Ihnen noch?‹. Es war besser, Morag zu überlassen, wie viel sie ihr verriet und was sie lieber für sich behielt. Callie sah sie von der Seite an und registrierte, dass sie wieder zitterte. »Hören Sie, wenn es Ihnen lieber wäre, in ein Café zu gehen und sich ein bisschen aufzuwärmen …«
»Nein, es geht schon.« Sie lächelte. »Die kleine Bella wäre davon nicht begeistert. Schauen Sie sich das Schätzchen nur an – sie hat ihren Spaß.«
Die Schlimmsten, dachte Neville, waren diejenigen, die schrien und brüllten und nicht glauben wollten, was man ihnen
sagte. Zu der Sorte gehörte Rachel Norton nicht. Sie saß reglos da, die Arme um den mächtigen Bauch gelegt, und zuckte vom stummen Schluchzen.
Neville stand linkisch auf der Stelle und hätte sich sehnlichst gewünscht, Yolanda Fish, die Kollegin aus dem Familien-Kontakt-Programm, wäre schon da. Sid Cowley erwies sich in seiner neuen untergeordneten Rolle als nicht sonderlich nützlich. Es war, als hätte er sich davongestohlen: Ihr Fall, Chef, nun sehen Sie zu, wie Sie damit klarkommen.
Neville warf Cowley einen Blick zu und formte mit den Lippen das Wort »Tee«.
Cowley schien für die Gelegenheit, eine Weile verschwinden zu können, überaus dankbar zu sein, und verließ das Zimmer.
Neville hatte das Gefühl, als sei es in dem Raum stickig und zu stark geheizt. Nach der nassen Kälte draußen war es hier drinnen wie im Gewächshaus. Er merkte, wie ihm der Schweiß den Rücken herunterlief. Als er den Anblick von Rachel Nortons verzerrtem Gesicht nicht länger ertrug, schloss er kurz die Augen. Sie hatte den Blick nach oben gerichtet und den Mund schmerzlich verzogen. Sie bekam das Baby doch wohl nicht auf der Stelle?
Nach einer scheinbaren Ewigkeit kehrte Sid Cowley mit einem etwas ungeschickt zusammengestellten Teetablett zurück, das er auf dem Couchtisch abstellte. Wenigstens hatte er an den Zucker gedacht. Neville goss den Tee in einen ziemlich unpassenden Homer-Simpson-Henkelbecher und rührte drei Löffel Zucker hinein.
Rachel Norton sah ihn einfach nur an und schwieg weiter. Sie machte keinerlei Anstalten, die Tasse zu nehmen, die er ihr hinhielt, sodass Neville sich gezwungen sah, sich neben sie zu knien, ihr das Gefäß in die Hände zu drücken und an den Mund zu führen. »Trinken Sie«, wies er sie an. »Das wird Ihnen guttun.«
Sie nahm gehorsam einen Schluck und verzog das Gesicht. »Ich hasse gesüßten Tee.«
»Das ist gut bei Schock.«
»Zu heiß. Zu süß.« Rachel blieben die Worte im Halse stecken. Es folgte eine zweite Tränenflut. »Trevor mag … mochte … zwei Löffel Zucker.«
Dazu gab es nichts weiter zu sagen.
»Sein Lieblingsbecher«, fügte Rachel hinzu und schluckte schwer. »Homer Simpson. Sein Held.«
Auf der Tasse hielt der Mann mit dem runden Bauch, der gelben Haut und den drei Haaren auf dem Kopf eine Dose Bier in die Höhe. »Alles läuft besser
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