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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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absolut Mieseste ist, was du machen kannst. Macbeth hat seinen eigenen König getötet, Mann. Das wär so, als würde Eminem Dr. Dre umlegen.«
    Im Grunde genommen hatte der Student nicht ganz unrecht. Im Inferno wogen Sünden der Leidenschaft und Verzweiflung bei Weitem nicht so schwer wie Verrat. Die Sünder in den oberen Höllenkreisen hatten ihren Gelüsten gefrönt, aber ohne anderen Böses zu tun. Die Sünder in den mittleren Bereichen hatten Gewalt gegen sich oder andere geübt. Aber die tiefsten Höllengründe waren der Sünde vorbehalten, die Dante für die allerschlimmste hielt – Betrug. Da waren Verräter an der Familie – die Mörder von Angehörigen. Da waren Verräter an ihrem Land – die Doppelagenten und Spione der Welt. Da waren Verräter an Wohltätern – Judas, Brutus, Cassius und Luzifer, die sich alle gegen ihre Mentoren gewandt hatten.
    Â»Hat Dantes Hierarchie noch Gültigkeit?«, fragte Laura. »Oder glauben Sie, die Ordnung der Verdammnis für unsere Welt sollte umgemodelt werden?«
    Â»Ich finde es schlimmer, einen Menschen zu foltern und zu quälen, als irgendwelche Geheimnisse der nationalen Sicherheit an die Chinesen zu verkaufen«, sagte eine Studentin, »aber damit steh ich wohl allein.«
    Ihre Nachbarin schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, wieso es schlimmer sein soll, seinem König untreu zu werden als seinem Ehemann. Wer fremdgeht, landet bloß im zweiten Höllenkreis. Da kommen sie aber verdammt gut weg.«
    Â»Hauptsache, sie kommen«, witzelte der junge Mann neben ihr.
    Â»Der Unterschied ist der Vorsatz«, erklärte eine Studentin. »Das ist wie bei Totschlag im Unterschied zu Mord. Wenn du was in der Hitze des Gefechts tust, scheint Dante es fast zu entschuldigen. Aber wenn du mit Vorsatz gehandelt hast, dann sieht’s düster für dich aus.«
    Seit zehn Jahren hielt Laura über dieses Thema Seminare, doch erst jetzt, in diesem Augenblick, erkannte sie, dass es tatsächlich eine Sünde gab, die Dante ausgelassen hatte, noch dazu eine, die in den allertiefsten Höllengrund gehörte. Wenn es die schlimmste aller Sünden war, andere zu verraten, wie verhielt es sich dann mit den Menschen, die sich selbst belogen?
    Es müsste einen zehnten Höllenkreis geben, einen winzigen, stecknadelgroßen Fleck mit Platz für eine ungeheure Masse. Er wäre voll mit Professorinnen, die sich in ehrwürdigen Universitäten versteckten, anstatt sich um ihre kaputten Familien zu kümmern. Mit Ehemännern, die nicht über ihre Vergangenheit sprachen, sondern sie lieber auf ein leeres weißes Blatt bannten. Mit Frauen, die sich vormachten, sie könnten die Ehefrau eines Mannes und die Geliebte eines anderen sein, und diese beiden Seiten voneinander getrennt halten. Mit allen, die sich einredeten, ein tolles Leben zu führen, obwohl doch offensichtlich alles dagegen sprach.
    Eine Stimme drang zu ihr durch. »Professor Stone? Alles in Ordnung?«
    Laura blickte die Studentin in der ersten Reihe an, die die Frage gestellt hatte. »Nein«, sagte sie leise. »Es ist nicht alles in Ordnung. Wir … wir machen heute ein bisschen früher Schluss. Danke.«
    Während die Studenten aus dem Raum drängten, sammelte Laura ihre Unterlagen ein und nahm ihren Mantel. Sie ging zum Parkplatz, stieg in ihr Auto und fuhr los.
    Wenn man Tatsachen nicht aussprach, hörten sie nicht einfach auf zu existieren. Schweigen war bloß eine leisere Form der Lüge.
    Sie wusste, wohin sie wollte, doch ehe sie dort ankam, klingelte ihr Handy. »Trixie ist verschwunden«, sagte Daniel.

    Das Weihnachtsdorf in Jefferson, New Hampshire, war eine große Ansammlung von Lügen. Rentiere, die man von irgendwo herangekarrt hatte, kümmerten in einer unechten Scheune vor sich hin, und falsche Elfen hantierten in der Werkstatt eines verkleideten Weihnachtsmannes, der auf einem Thron saß, umlagert von zig Kindern, die ihm verraten wollten, was sie sich zu Weihnachten wünschten. Und all die Eltern taten so, als wäre das alles vollkommen real . Und dazwischen bewegte sich Trixie, die sich möglichst normal gab, wo sie doch in Wahrheit die größte Lügnerin von allen war.
    Trixie beobachtete, wie ein kleines Mädchen dem falschen Weihnachtmann auf den Schoß krabbelte und ihn treuherzig anlachte.
    Als Kind hatte Trixie natürlich

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