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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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auch an den Weihnachtsmann geglaubt. Und jahrelang hatte Zephyr, die Halbjüdin war und durch und durch realistisch, sie auf die offensichtlichen Ungereimtheiten hingewiesen: Wie konnte der Weihnachtsmann denn gleichzeitig bei Macy’s und bei Woolworth sein? Wenn er wirklich der Weihnachtsmann war, dann müsste er ja wohl wissen, was sie sich wünschte, und bräuchte nicht zu fragen. Trixie wünschte, sie könnte die Kinder in diesem Gebäude zusammenholen und sie retten, wie Holden Caulfield in Der Fänger im Roggen , das sie für die Schule gelesen hatte. Mal im Ernst , würde sie sagen. Der Weihnachtsmann ist ein Heuchler. Eure Eltern haben euch angelogen .
    Und , so würde sie vielleicht noch hinzufügen, sie werden es wieder tun . Ihre eigenen Eltern hatten gesagt, sie sei hübsch, wo sie doch in Wahrheit kantig und o-beinig war. Sie hatten versprochen, sie würde ihren Märchenprinz finden, aber der hatte dann mit ihr Schluss gemacht. Sie hatten gesagt, wenn sie immer zur vereinbarten Zeit nach Hause kam und sich an die Abmachungen hielt, dann würde ihr nichts passieren. Und dann war es doch ganz anders gekommen.
    Sie trat hinter einer Tanne hervor, die Weihnachtslieder dudelte, und schaute sich vorsichtig um, ob irgendwer sie beobachtete. In gewisser Weise wäre es leichter gewesen, erwischt zu werden. Es war furchtbar, alle paar Sekunden nach hinten zu schauen und damit zu rechnen, erkannt zu werden. Sie hatte befürchtet, dass der Lkw-Fahrer, bei dem sie als blinder Passagier mitgefahren war, die Polizei verständigen würde. Sie war sicher gewesen, dass der Mann, der die Eintrittskarten zum Weihnachtsdorf verkaufte, ihr Gesicht mit dem auf einem Fahndungsplakat verglichen hatte.
    Trixie schlüpfte auf die Damentoilette, klatschte sich Wasser ins Gesicht und versuchte, tief, regelmäßig und ruhig zu atmen, so wie im Biounterricht, als sie einen Frosch sezieren mussten und sie das Gefühl hatte, sich gleich übergeben zu müssen. Sie tat so, als hätte sie eine Wimper im Auge, und blinzelte in den Spiegel, bis sie allein im Waschraum war.
    Dann hielt sie den Kopf unter den Wasserhahn, bis ihre Haare ganz nass waren, zog ihr Sweatshirt aus und wickelte es sich um den Kopf. Sie schloss sich in eine Toilettenkabine ein, setzte sich auf den Klodeckel und kramte vor Kälte zitternd in ihrem Rucksack herum.
    Sie hatte das Haarfärbemittel bei Wal-Mart gekauft, als der Trucker eine Zigarettenpause machte. Die Farbe nannte sich Nachtblau, aber für Trixie sah sie schlicht schwarz aus. Sie öffnete die Verpackung und las die Gebrauchsanweisung.
    Mit ein bisschen Glück würde sich niemand etwas dabei denken, wenn sie die Toilette eine halbe Stunde lang blockierte. Trixie zog sich die Plastikhandschuhe aus der Packung an, mischte das Färbemittel mit dem Fixierer und verteilte die Tinktur auf ihrem Haar.
    Sollte sie auch die Augenbrauen färben? Ging das überhaupt?
    Sie und Zephyr hatten oft darüber gesprochen, wie man erwachsen werden konnte, ehe man die magische Einundzwanzig erreichte. Das Alter war nicht so wichtig wie die Zwischenetappen: die erste Reise ohne Eltern, das erste Mal Bier kaufen, ohne dass man seinen Ausweis zeigen musste, Sex haben. Sie wünschte, sie könnte Zephyr sagen, dass man innerhalb eines einzigen Augenblicks erwachsen werden konnte, dass man nach unten schauen und die Linie im Sand erkennen konnte, die dein jetziges Leben von dem trennte, das es mal war.
    Trixie fragte sich, ob sie wie ihr Vater nie wieder nach Hause kommen würde. Sie fragte sich, wie groß die Welt war, wenn man sie wirklich durchquerte und nicht mit dem Finger auf der Landkarte darüber hinwegglitt. Etwas Flüssigkeit rann ihr über die Wange. Sie verschmierte sie mit einem Finger, ehe ihr T-Shirt nass wurde. Die Farbe blieb schwarz wie Motoröl an ihrer Fingerkuppe haften. Einen kurzen Moment lang stellte sie sich vor, dass es ihr Blut wäre.

    Daniel parkte vor den großen Fenstern des Spielzeugladens und sah zu, wie Zephyr einer älteren Frau ein paar Scheine und Kleingeld herausgab. Zephyr hatte sich das Haar zu Zöpfen geflochten, und sie trug zwei langärmelige Shirts übereinander. Durch die Schatten und die Spiegelungen der Scheibe hindurch konnte man sich fast einreden, sie wäre Trixie.
    Daniel war nicht gewillt, zu Hause zu hocken und abzuwarten, bis die Polizei Trixie fand und ihr eine Erklärung

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