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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Minuten brauchte, um sie zu beruhigen. Danach war er vorsichtiger geworden, hatte ihr weniger Fragen gestellt. Nicht etwa weil er nicht mit ihr reden wollte, sondern weil er Angst vor ihren Antworten hatte und noch größere Angst davor, wieder einen Fehler zu machen. Die Situation überforderte Daniel. Sie verlangte mehr als nur Trost, mehr als nur elterliche Fürsorge. Sie verlangte, dass er all die Wut, die jetzt in ihm tobte, in lindernde Worte wie Balsam umwandelte, in einen unsichtbaren Trost für Wunden, die größer waren als sie beide.
    Plötzlich bremste Daniel scharf ab. Der Holztransporter vor ihnen schlingerte über die Mittellinie auf die Gegenfahrbahn. »Der bringt noch jemanden um«, sagte Daniel, und Trixie dachte: Bitte mich. Sie fühlte sich von der Hüfte abwärts taub, eine in Eis gegossene Meerjungfrau. »Kommt Mom auch?«
    Â»Ich hoffe es, Schätzchen.«
    Nachdem ihr Vater sie in eine Decke gehüllt und in seinen Armen gewiegt und gesagt hatte, sie würden zum Krankenhaus fahren, und als Trixie noch immer leise nach ihrer Mutter weinte, erst da hatte er zugegeben, dass Laura nicht zu Hause war. Aber es ist mitten in der Nacht , hatte Trixie gesagt. Wo ist sie denn? Da hatte der Schmerz einen Moment lang nicht mehr Trixie gehört, sondern nur noch ihrem Vater, doch als er sich dann abwandte, um noch eine Decke für sie zu holen, da begriff Trixie, dass sie in dieser Nacht nicht das einzige Opfer war.
    Der Holztransporter schwenkte scharf nach links, bevor er wieder auf die Spur fand. WIE MACH ICH MICH?, fragte der Sticker auf der Ladeklappe. Ich mach mich prima , dachte Daniel bitter. Ich bin gesund und munter, und der Mensch, den ich auf dieser Welt am meisten liebe, sitzt neben mir und ist in tausend Stücke zersprungen .
    Trixie wandte die Augen ab, als ihr Vater beschleunigte und überholte und dabei die ganze Zeit hupte. Es klang viel zu laut. Es schien den Himmel mittendurch zu reißen. Sie hielt sich die Ohren zu, aber sie konnte das Hupen trotzdem noch hören, wie einen Schrei aus ihrem Innern.
    Als Daniel wieder auf die rechte Spur einscherte, warf er verstohlen einen Blick zu Trixie hinüber. Sie hatte sich ganz klein zusammengerollt. Ihr Gesicht war blass. Die Hände waren in den Ärmeln versteckt. Und wahrscheinlich wusste sie gar nicht, dass sie weinte.
    Sie hatte ihre Jacke vergessen, und Daniel machte sich Vorwürfe. Er hätte seine mitnehmen sollen.
    Trixie spürte die drückende Last seiner Sorge. Und auf einmal musste sie an eine mundgeblasene Konfektschale denken, die sie zerbrochen hatte, als sie elf war, ein Erbstück, das ihrer Urgroßmutter gehört hatte. Sie hatte die Scherben aufgesammelt und beinahe nahtlos wieder zusammengeklebt – und trotzdem hatte ihre Mutter es gemerkt. Sie stellte sich vor, dass es bei ihr selbst jetzt genauso war.
    Daniel sah den Holztransporter im Rückspiegel kleiner werden. Gefahren lauerten überall. Daniel hatte immer schon vor dem Tag gegraut, an dem Trixie den Führerschein machen würde. Er konnte sie zur vorsichtigsten Fahrerin der Welt erziehen, aber gegen die wahnsinnigen Trucker, die seit drei Tagen nicht geschlafen hatten und rote Ampeln übersahen, war er machtlos.
    Trixie starrte durchs Seitenfenster auf die vorüberziehende Landschaft, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Sie fragte sich wieder und wieder: Wenn ich seinen Kuss nicht erwidert hätte, wäre es dann nicht passiert?

    Das Telefon klingelte zum zehnten Mal in Lauras Büro, einem Raum kaum größer als eine Besenkammer, aber Daniel konnte einfach nicht auflegen. Er hatte es schon überall versucht. Laura ging nicht an ihr Bürotelefon. Sie war nicht zu Hause. Auf ihrem Handy meldete sich gleich die Mailbox. Sie hatte sich unerreichbar gemacht, absichtlich.
    Daniel hatte sich immer Entschuldigungen zurechtgelegt, wenn es um ihn ging, aber jetzt, wo es um Trixie ging, konnte er das nicht. Denn zum ersten Mal in seinem Leben glaubte er nicht, dass er alles sein konnte, was seine Tochter jetzt brauchte.
    Er fluchte laut und rief erneut in Lauras Büro an, um eine Nachricht zu hinterlassen. »Ich bin’s. Es ist vier Uhr morgens. Ich hab Trixie ins Krankenhaus gebracht, Stephens Memorial, Notaufnahme. Sie ist … sie ist vergewaltigt worden.« Er zögerte. »Komm bitte so schnell wie möglich.«

    Trixie fragte sich, ob es sich so anfühlte, wenn man

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