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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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angeschossen wurde. Ob man, auch nachdem die Kugel durch Fleisch und Knochen gedrungen war, ganz distanziert an sich hinabsah und den Schaden abschätzte. Sie fragte sich, ob Gefühllosigkeit als chronischer Schmerz galt.
    Während sie dasaß und darauf wartete, dass ihr Vater von der Toilette zurückkam, nahm Trixie das Quietschen der weißen Schuhe der Krankenschwester wahr, das hektische Geklapper eines Defibrillatorwagens, der über das Linoleum gerollt wurde, das Unterwassergrün der unverputzten Wände und die Amöbenform der Stühle im Wartebereich. Der Geruch nach Bettwäsche und Metall und Angst. Die Girlanden und Strümpfe, die hinter dem Empfang hingen, der klägliche Überrest eines Weihnachtsbaums neben dem Drahtkorb mit den Patientenkarten. Trixie bemerkte diese Dinge nicht nur, sie sog sie in sich auf, als wollte sie sich mit Sinneswahrnehmungen tränken, um die dreißig Minuten aufzuholen, die sie aus ihrem Bewusstsein gestrichen hatte.
    Ihr wurde plötzlich klar, dass sie bereits angefangen hatte, ihr Leben in vorher und nachher einzuteilen.

    Hi, hier ist der Anschluss von Laura Stone, sagte ihre Stimme. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht, ich rufe zurück.
    Daniel legte wieder auf und ging zurück ins Krankenhaus, wo Handys verboten waren. Aber als er zum Wartebereich kam, war Trixie nicht mehr da. Er ging zu der Empfangsschwester. »In welchem Raum ist meine Tochter? Trixie Stone?«
    Die Schwester sah auf. »Es tut mir leid, Mr. Stone. Ich weiß, es ist dringend, aber wir sind unterbesetzt, und …«
    Â»Sie ist noch nicht abgeholt worden?«, sagte Daniel. »Aber wo ist sie denn?« Er wusste, er hätte sie nicht allein lassen sollen; er hatte doch gemerkt, dass sie seine Frage, ob sie einen Moment allein klarkäme, gar nicht richtig gehört hatte. Er wich von der halbrunden Theke zurück, stürmte durch die Schwingtür der Notaufnahme und rief Trixies Namen.
    Â»Sir«, sagte die Schwester und stand auf, »da dürfen Sie nicht rein!«
    Â»Trixie?«, schrie Daniel unter den Blicken von Patienten, die ihn aus den mit Vorhängen abgetrennten Behandlungsbereichen anstarrten. »Trixie!«
    Ein Krankenpfleger packte seinen Arm. Er schüttelte den kräftigen Mann ab, bog um eine Ecke und stieß mit einer Ärztin in ihrem gespenstisch weißen Kittel zusammen, ehe er das Ende des Ganges erreichte. Er machte auf dem Absatz kehrt und rief weiter nach Trixie, und plötzlich, in dem Zwischenraum zwischen den Silben ihres Namens, hörte er, wie Trixie nach ihm rief.
    Er folgte dem Faden ihrer Stimme durch das Gewirr von Gängen, und endlich sah er sie. »Ich bin ja hier«, sagte er, und sie drehte sich um und brach in Tränen aus.
    Â»Ich hab mich verlaufen«, schluchzte sie an seiner Brust. »Ich hab keine Luft gekriegt. Alle haben gestarrt. All die Leute im Wartebereich. Die haben bestimmt gedacht, mit der stimmt was nicht.«
    Daniel ergriff ihre Hände. »Mit dir stimmt alles«, sagte er, die erste Lüge, ein Haarriss in seinem Herzen.
    Eine Frau mit stark geschminktem Gesicht sprach sie an. »Trixie Stone?«, sagte sie. »Ich heiße Janice. Ich bin Betreuerin für Opfer sexueller Gewalt. Ich bin dazu da, dir und deinen Eltern eventuelle Fragen zu beantworten und zu erläutern, wie es jetzt weitergeht.«
    Daniel kam nicht über das Make-up hinweg. Falls diese Frau wegen Trixie herbestellt worden war, wie viel Zeit hatte sie dann für die falschen Wimpern und das Rouge vergeudet? Wie viel schneller hätte sie hier sein können?
    Â»Das Wichtigste zuerst«, sagte Janice, die Augen auf Trixie gerichtet. »Es war nicht deine Schuld.«
    Trixie sah sie an. »Sie wissen doch noch gar nicht, was passiert ist.«
    Â»Ich weiß aber, dass keine Frau vergewaltigt werden darf, ganz gleich, wer sie ist und was sie getan hat«, sagte Janice. »Hast du schon geduscht?«
    Daniel fragte sich, wie sie auf diese Idee kommen konnte, Trixie trug noch immer die zerrissene Bluse und hatte Waschbärkringel aus Mascara unter den Augen. Sie hatte vorgehabt zu duschen – deshalb hatte er sie auch im Bad gefunden –, aber Daniel hatte das zu verhindern gewusst. Beweisspuren . Das Wort war ihm durch den Kopf geschwommen wie ein Hai.
    Â»Was ist mit der Polizei?«, hörte Daniel und merkte verblüfft, dass er es war, der die Frage gestellt

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