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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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hatte.
    Janice wandte sich ihm zu. »Das Krankenhaus meldet bei Minderjährigen automatisch jeden sexuellen Übergriff an die Polizei«, sagte sie. »Ob Trixie Anzeige erstatten will oder nicht, liegt bei ihr.«
    Sie wird Anzeige gegen dieses Schwein erstatten, dachte Daniel, und wenn ich sie dazu überreden muss.
    Während Janice die bevorstehende Untersuchung erläuterte, schüttelte Trixie den Kopf und schlang die Arme um sich. »Ich will nach Hause«, sagte sie mit dünner Stimme. »Ich hab’s mir anders überlegt.«
    Â»Du musst ärztlich untersucht werden, Trixie. Ich werde die ganze Zeit bei dir bleiben.« An Daniel gewandt, sagte sie: »Gibt es eine Mrs. Stone?«
    Â»Sie ist unterwegs«, sagte Daniel. Vielleicht stimmte das inzwischen ja sogar.
    Trixie klammerte sich an seinem Arm fest. »Was ist mit meinem Vater? Kann er bei mir bleiben?«
    Janice blickte von Daniel zu Trixie. »Es ist eine gynäkologische Untersuchung«, sagte sie behutsam.
    Als Junge in Alaska war Daniel Yupik-Eskimos begegnet, die ihn schon allein deshalb hassten, weil er ein kass’aq war. Es spielte keine Rolle, dass er erst sechs oder sieben Jahre alt war, dass er gar nicht zu den Weißen gehörte, die sie um ihr Land betrogen oder ihnen den Job weggenommen oder irgendeine andere von den zahllosen Ungerechtigkeiten zugefügt hatten. Sie sahen nur, dass Daniel weiß war, und allein das genügte, um ihren Zorn auf sich zu ziehen. Jetzt fragte er sich, wie es wohl wäre, als einziger Mann bei der medizinischen Untersuchung eines Vergewaltigungsopfers dabei zu sein.
    Â»Bitte, Daddy?«
    Er sah die Angst in Trixies Augen, mit dieser fremden Frau allein zu sein. Also atmete Daniel tief durch und ging zwischen Trixie und Janice den Gang hinunter. Im Untersuchungsraum stand eine Liege, und er half Trixie daraufzuklettern. Die Ärztin kam fast gleichzeitig herein, eine kleine Frau in OP-Kleidung und weißem Kittel. »Hallo Trixie«, sagte sie, und falls sie erstaunt war, einen Vater im Raum zu sehen und keine Mutter, so ließ sie es sich nicht anmerken. Sie ging direkt auf Trixie zu und schüttelte ihr die Hand. »Ich bin Dr. Roth. Du bist sehr tapfer. Ich bitte dich nur, das auch zu bleiben.«
    Sie reichte Daniel ein Formular und bat ihn, es zu unterschreiben, weil, wie sie erklärte, für Trixie als Minderjährige die Einwilligung eines Elternteils oder Vormundes erforderlich war, um Beweismittel und Informationen zu sammeln oder herauszugeben. Sie maß bei Trixie Blutdruck und Puls und machte Notizen auf ihrem Klemmbrett. Dann begann sie, Trixie eine Reihe von Fragen zu stellen.
    Wo wohnst du?
    Wie alt bist du?
    An welchem Tag war die Vergewaltigung? Um welche Uhrzeit?
    War der Täter männlich? Wie viele Täter waren es?
    Daniel spürte, wie ihm unter dem Hemdkragen der Schweiß ausbrach.
    Hast du seit der Vergewaltigung geduscht, gebadet, uriniert oder defäkiert?
    Hast du dich übergeben, gegessen, getrunken, die Kleidung gewechselt, die Zähne geputzt?
    Er beobachtete, wie Trixie bei jeder Frage den Kopf schüttelte. Jedes Mal, bevor sie etwas sagte, sah sie kurz zu Daniel hinüber, als läge die Antwort in seinen Augen.
    Hattest du in den letzten fünf Tagen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr?
    Trixie erstarrte, und diesmal mied sie den Blickkontakt mit ihrem Vater. Sie murmelte etwas Unverständliches. »Entschuldige«, sagte die Ärztin. »Ich hab dich nicht verstanden.«
    Â»Es war das erste Mal«, wiederholte Trixie.
    Daniel spürte, wie der Raum sich ausdehnte und zerbarst. Er registrierte vage, wie er sich entschuldigte, nahm undeutlich Trixies Gesicht wahr – ein weißes Oval, das an den Rändern zerfloss. Er musste zweimal zugreifen, ehe seine Finger ihm gehorchten und er den Türknauf fassen konnte.
    Draußen ballte er die Hand zur Faust und rammte sie gegen die Steinwand. Er schlug wieder und wieder auf die Wand ein. Auch dann noch, als ihm schon die Tränen kamen und eine Krankenschwester ihn wegführte, um ihm das Blut von den Knöcheln zu waschen und ihm einen Verband anzulegen. Er tat es so lange, bis er wusste, dass Trixie nicht die Einzige war, die Schmerz empfand.

    Trixie war nicht in dem Untersuchungsraum. Körperlich ja, aber im Geist schwebte sie in der linken Ecke der Decke und sah zu, wie die Ärztin und diese andere Frau sich um das arme, traurige,

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