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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Daniel Stone . Sie betrachtete das Bild genauer und bemerkte auf einmal etwas, das ihr zuvor nicht aufgefallen war: In den Falten des Umhangs waren ein paar Linien dunkler gezeichnet als der Rest, und sie ergaben eindeutig das Wort TRIFF.
    In der linken Stiefelspitze stand MICH.
    Sie nahm die Zeichnung noch gründlicher in Augenschein. In den Ringen eines Planeten in der oberen linken Ecke entdeckte sie die Worte IN DER. Und auf dem Hemdkragen des Mannes, der aussah wie Walter, stand »HÖLLE«.
    Es war wie ein Schlag ins Gesicht, als hätte er gewusst, dass sie seine Zeichnung studieren würde. Wütend stopfte Laura das Blatt in den Mülleimer. Doch dann lag sie die ganze Nacht wach und suchte nach anderen Deutungsmöglichkeiten. Wieso hatte er das Wort HÖLLE in Anführungszeichen gesetzt? Als wäre es ein Name.
    Am nächsten Tag fischte sie die Zeichnung wieder aus dem Müll und griff zum Telefonbuch von Phoenix.
    Die Hölle war in der Wylie Street 358.
    Sie nahm eine Lupe zur Hand und suchte nach weiteren Hinweisen in dem Bild. Doch sie fand weder ein Datum noch eine Uhrzeit. Noch am selben Nachmittag machte sich Laura auf den Weg in die Wylie Street. Die Hölle war in einem schmalen Haus zwischen zwei größeren Gebäuden untergebracht – auf der einen Seite war ein Headshop mit Bongs im Schaufenster, auf der anderen ein Pornovideoladen. Die Fassade war fensterlos, und über der mit Graffiti bemalten Tür war kein richtiges Schild, sondern nur der Name des Etablissements in blauer Farbe aufgepinselt.
    Der einzige Raum war schmal und lang und mit der Bartheke schon fast voll. Die Wände waren schwarz gestrichen. Obwohl es erst drei Uhr nachmittags war, saßen schon sechs Gäste an der Bar, und bei den meisten von ihnen hätte Laura nicht sagen können, welchem Geschlecht sie angehörten. Als das Sonnenlicht durch die sich öffnende Tür fiel, wandten sie sich Laura zu und blinzelten wie Maulwürfe, die aus dem Bauch der Erde gekrochen kamen.
    Daniel Stone saß der Tür am nächsten. Er hob eine Augenbraue und drückte seine Zigarette auf der hölzernen Theke aus. »Setz dich.«
    Sie bot ihm die Hand. »Ich bin Laura Piper.«
    Er betrachtete amüsiert ihre Hand, schüttelte sie aber nicht. Laura hievte sich auf den Hocker und legte sich ihre Tasche auf den Schoß. »Wartest du schon lange?«, fragte sie, als wären sie fest verabredet gewesen.
    Er lachte. Beim Klang seines Lachens musste sie an Sommerstaub denken, der von Reifen auf einer Landstraße aufgewirbelt wird. »Mein ganzes Leben.«
    Sie wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. »Du hast mir keine Uhrzeit aufgeschrieben …«
    Seine Augen begannen zu strahlen. »Aber du hast alles andere gefunden. Und ich bin sowieso fast immer hier.«
    Â»Stammst du aus Phoenix?«
    Â»Alaska.«
    Für eine Frau, die am Rande der Wüste aufgewachsen war, gab es kaum etwas Ausgefalleneres oder Romantischeres. Sie stellte sich Schnee und Eisbären vor. Eskimos. »Und wie bist du hier gelandet?«
    Er zuckte die Achseln. »Da oben lernt man nur Blau. Mir hat das Rot gefehlt.« Laura stutzte einen Moment, ehe sie begriff, dass er von Farbtönen und seiner Malerei sprach. Er zündete sich erneut eine Zigarette an. Es war ihr unangenehm – sie war sonst nie in Gesellschaft von Rauchern –, und sie hätte ihn gern gebeten, es zu lassen. »Also«, sagte er. »Laura.«
    Nervös begann sie, die Stille zwischen ihnen zu füllen. »Eine Frau namens Laura war die Muse des Dichters Petrarca. Die Sonette sind wirklich wunderschön.«
    Daniels Mund verzog sich. »Was du nicht sagst.«
    Sie wusste nicht, ob er sich über sie lustig machte, und jetzt registrierte sie obendrein, dass die Leute in der Bar ihrem Gespräch zuhörten. Außerdem hatte sie vergessen, warum sie überhaupt hergekommen war. Sie wollte gerade aufstehen, als der Barkeeper ihr ein Schnapsglas mit einer glasklaren Flüssigkeit hinstellte. »Oh«, sagte sie. »Ich trinke nicht.«
    Daniel nahm das Glas und leerte es in einem Zug.
    Sie war von ihm fasziniert wie von einem wilden Tier, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. Es war unerwartet aufregend, einem Menschen von der Sorte, die sie ihr Leben lang gemieden hatte, auf einmal so nahe zu sein. Sie blickte Daniel Stone an und sah keinen Mann mit zu langen Haaren und Dreitagebart,

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