Schuldig
wenn es Trixie selbst war?
Trixie hatte das schon eine ganze Weile gemacht. Keine richtigen Selbstmordversuche, sondern das sogenannte Ritzen, um Spannung abzubauen. Ironischerweise war gerade das womöglich ihre Rettung gewesen, sagten die Ãrzte. Die meisten Mädchen, die ritzten, taten das senkrecht, also quer zum Handgelenk. Heute hatte Trixie tiefer geschnitten, aber wieder quer. Leute, die es ernst meinten oder sich auskannten, machten einen Längsschnitt, der schneller zum Tod durch Verbluten führte. Dennoch, wenn Laura nicht rechtzeitig ins Bad gekommen wäre, ständen sie jetzt wahrscheinlich nicht am Krankenhausbett ihrer Tochter, sondern an ihrem Grab.
Das Licht im Zimmer war ausgeschaltet, und an einem von Trixies Fingern war eine rot leuchtende Klammer, die ihre Sauerstoffversorgung überprüfte. Eine Krankenschwester hatte Trixie ein Krankenhaushemd angezogen. Daniel hatte keine Ahnung, was aus ihren Sachen geworden war. Wurden sie als Beweismittel aufbewahrt, so wie die Sachen, die sie in der Nacht der Vergewaltigung getragen hatte? Als Nachweis dafür, dass das Mädchen hier keine Ãberlebende mehr sein wollte?
»Hast du es gewusst?« Lauras Stimme drang leise durch die Dunkelheit.
Daniel sah zu ihr hoch. Er konnte nur das Glänzen ihrer Augen sehen. »Nein.«
»Meinst du, wir hätten etwas merken müssen?«
In ihrer Stimme lag kein Vorwurf. Sie wollte wissen, ob sie Hinweise übersehen, Spuren ignoriert hatten. Sie wollte den Moment bestimmen, an dem alles anfing auseinanderzufallen.
Daniel wusste, dass es darauf keine Antwort gab. Es war wie bei einer Trapeznummer: Wie wollte man sagen, in welcher Sekunde der Akrobat sich abstieÃ, in welchem Moment der Fänger loslieÃ? Es war unmöglich. Man konnte nur ausgehend vom Ergebnis Rückschlüsse ziehen: der erfolgreiche Fang oder der Sturz in die Tiefe. »Ich denke, Trixie hat sich allergröÃte Mühe gegeben, damit wir nichts merken.«
Lauras Kopf war über ihre gefalteten Hände geneigt, und ihre Lippen bewegten sich. Sie ging nicht mehr in die Kirche, aber sie war katholisch erzogen worden. Daniel war nie sonderlich religiös gewesen. Seine Mutter und er hatten keiner Kirche angehört, anders als die meisten ihrer Nachbarn. Die Yupik waren von Herrnhuter Missionaren schnell und erfolgreich christianisiert worden. Für einen Eskimo war es kein Widerspruch, an Jesus als seinen Heiland zu glauben und zugleich daran, dass die Seehundseele in der Blase des Tieres wohnte, bis der Jäger sie zurück ins Meer warf.
Laura strich Trixie eine Haarsträhne aus der Stirn. »Dante glaubte, dass Gott Selbstmörder bestraft, indem er ihren Geist in einen Baumstamm einschlieÃt. Am Jüngsten Tag sind sie die einzigen Sünder, die ihre Seele nicht zurückbekommen, weil sie schon einmal versucht haben, sie loszuwerden.«
Daniel wusste das bereits. Es war einer der wenigen Aspekte in Lauras Forschung, die ihn wirklich faszinierten. Er hatte es immer absurd gefunden, dass es in den Yupik-Dörfern mit ihrer ausnehmend hohen Selbstmordrate unter Jugendlichen keine Bäume gab.
Auf einmal bewegte Trixie sich. Ihre Augen weiteten sich beim Anblick des fremden Raums und wurden dann trüb vor Enttäuschung, als sie begriff, dass sie noch immer da war.
Laura setzte sich aufs Bett und nahm Trixie in den Arm. Sie sprach leise flüsternd auf Trixie ein, und Daniel wünschte, es fiele ihm ebenso leicht mit Sprache umzugehen, wie Laura. Er konnte Trixie nicht mit Versprechungen behüten. Das Einzige, was er je gekonnt hatte, war, die Welt für sie neu zu malen, damit sie zu einem Ort wurde, an dem sie gern sein wollte.
Daniel sah noch, wie Trixie nach Laura griff und sich vertrauensvoll an ihr festhielt. Dann schlich er aus dem Krankenhauszimmer und ging an Schwestern und Pflegern und Patienten vorbei, die zu blind waren, um die Metamorphose zu bemerken, die sich da soeben vor ihren Augen vollzog.
Daniel kaufte Arbeitshandschuhe und eine Rolle Klebeband. Streichhölzer. Ein Fischfiletiermesser.
Er fuhr dreiÃig Meilen in eine andere Stadt und er bezahlte bar.
Er war fest entschlossen, keine Spuren zu hinterlassen. Es würde darauf hinauslaufen, dass sein Wort gegen Daniels stand, und das Opfer würde dabei schlecht abschneiden.
Jason stellte fest, dass er sich nur während des Eishockeytrainings wirklich konzentrieren konnte. Er überlieÃ
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