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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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nichts getan«, schrie Jason verzweifelt. »Ehrlich nicht. Hören Sie auf. Bitte. Bitte hören Sie auf.«
    Daniel schob sein Gesicht dicht vor Jasons. »Wieso sollte ich? Du hast auch nicht aufgehört.«
    In diesem Augenblick sah Daniel Trixie vor sich und kam wieder zur Besinnung. Er blickte nach unten auf seine Hand, die das Messer hielt. Er blinzelte und sah Jason an. Dann schüttelte er den Kopf, um ihn klarzubekommen. Dies war nicht die Wildnis. Er war Ehemann, er war Vater. Er hatte nichts mehr zu beweisen, aber er hatte unendlich viel zu verlieren.
    Daniel hob das Messer und schleuderte es weit hinaus in den Fluss. Dann holte er die Autoschlüssel des Jungen aus der Hosentasche und schob sie in Jasons nach wie vor mit Klebeband gefesselten Hände.
    Es war nicht Mitleid, das den Sinneswandel bei Daniel auslöste, und es war auch nicht Menschlichkeit. Es war die Erkenntnis, dass er wider Erwarten etwas mit Jason Underhill gemeinsam hatte. Genau wie Daniel hatte auch Jason schmerzlich lernen müssen, dass wir nie diejenigen sind, für die wir uns halten. Wir sind diejenigen, von denen wir mit aller Kraft glauben möchten, dass wir sie niemals werden können.



4
    Jason brauchte mehr als eine halbe Stunde, um das Klebeband mit dem Autoschlüssel durchzusägen. Es brannte höllisch, als er endlich seine Arme nach vorn nehmen konnte und die Blutzirkulation wieder in Gang kam, doch der Schmerz verdrängte immerhin die Taubheit, die durch die Kälte verursacht worden war. Er kam unsicher auf die Beine, lief zu der Stelle, an der er den Wagen hatte abstellen müssen, und stieß ein Dankgebet aus, als er sah, dass sein Auto noch da war.
    Aus seiner Eishockeytasche zog er sich das Trikot und die wattierte Hose. Die ganze Zeit rechnete er damit, erneut überrumpelt zu werden. Seine Hände zitterten so stark, dass es ihm erst beim vierten Versuch gelang, den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken.
    Er fuhr zur Polizei, fest entschlossen, Trixies Vater nicht einfach davonkommen zu lassen. Aber als er auf den Parkplatz rollte, hatte er wieder Daniel Stones Stimme im Ohr: Wenn du irgendwem was erzählst, bring ich dich um , hatte er gesagt. Und Jason glaubte ihm. Da war etwas in seinen Augen gewesen – irgendetwas Unmenschliches –, und Jason war überzeugt, dass der Mann zu allem fähig war.
    Er war so in Gedanken versunken, dass er den Fußgänger fast übersehen hätte. Er musste eine Vollbremsung machen, der Wagen schlingerte und kam zum Stehen. Detective Bartholemew stützte sich mit einer Hand auf der Motorhaube ab und starrte ihn finster an. Ein Gedanke durchfuhr Jason: Er war bereits als Vergewaltiger angeklagt. Würden die Cops ihm überhaupt glauben, wenn er ihnen erzählte, was passiert war? Was, wenn sie Daniel Stone vernahmen – und der behauptete, Jason wäre zu ihm gekommen?
    Der Detective trat an die Fahrertür. »Mr. Underhill«, sagte er. »Was führt Sie her?«
    Â»Ich … ich dachte, ich krieg ’nen Platten«, stammelte er.
    Der Detective ging einmal um den Wagen herum. »Sieht mir nicht so aus.« Er beugte sich vor, und Jason bemerkte seinen prüfenden Blick. »Haben Sie sonst noch was auf dem Herzen?«
    Jason schüttelte den Kopf. »Nein danke«, sagte er. Er legte den ersten Gang ein, und als er im Schneckentempo vom Parkplatz fuhr, spürte er, dass Bartholemews Blick ihm folgte.
    In diesem Moment fasste Jason den Entschluss, keiner einzigen Seele zu erzählen, was passiert war. Er hatte zu große Angst, dass der Schuss nach hinten losgehen könnte, wenn er die Wahrheit sagte.
    Und auf einmal fragte er sich: War es Trixie ähnlich ergangen?

    Daniel hatte stets einen Zeichenblock und Stifte im Auto. Auf dem Krankenhausparkplatz fing er an zu zeichnen, doch nicht etwa seinen Comichelden, sondern seine Tochter. Er zeichnete sie, wie sie ein paar Minuten alt war. Er zeichnete sie, wie sie ihre ersten Schritte machte. Er zeichnete sie, wie sie ihm an seinem Geburtstag zum Frühstück Spaghetti kochte.
    Als seine Hand sich so heftig verkrampfte, dass er keinen einzigen Strich mehr zustande brachte, sammelte Daniel die Blätter zusammen, stieg aus dem Wagen und machte sich auf den Weg zu Trixies Zimmer.
    Schatten griffen wie Riesenfinger über das Bett. Trixie war wieder eingeschlafen. Laura döste auf dem Stuhl neben ihr. Einen Moment lang starrte er die

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