Schuldig
starrte sie den Mann an, der auf der Veranda stand.
Seth trug Arbeitsschuhe und eine Fleeceweste und sah aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen. Er betrachtete Trixie verwirrt, als überlegte er, woher er sie kannte. Dann sah er Laura kommen. »Ich muss Sie sprechen«, setzte er an, verstummte aber gleich wieder beim Anblick ihrer entsetzten Miene.
Laura legte Trixie eine Hand auf die Schulter. »Geh nach oben«, sagte sie mit Nachdruck, und Trixie lief die Treppe hinauf. Dann wandte Laura sich wieder Seth zu. »Was fällt dir ein, zu mir nach Hause zu kommen?«
»Ich muss dir etwas sagen, das du wissen solltest â¦Â«
»Ich weiÃ, dass ich mich nicht mehr mit dir treffen kann«, sagte Laura. Sie zitterte, teils vor Angst, teils weil Seth ihr so nah war. Wenn er nicht direkt vor ihr stand, konnte sie sich leichter einreden, dass es tatsächlich vorbei war. »Tu mir das nicht an«, flüsterte sie und machte die Tür zu.
Einen Moment lehnte sie sich mit geschlossenen Augen dagegen. Was, wenn Daniel zu Hause gewesen wäre und die Tür geöffnet hätte? Hätte er Seth auf Anhieb erkannt, schon allein daran, wie sich sein Gesicht veränderte, als Laura auftauchte? Wäre er auf Seth losgegangen?
Als Laura ihre Fassung halbwegs zurückgewonnen hatte, ging sie nach oben in Trixies Zimmer. Sie fragte sich, was Trixie wusste und was sie vermutete. Bestimmt war ihr nicht entgangen, dass ihre Eltern seit Tagen kaum miteinander sprachen, dass ihr Vater jetzt auf der Couch schlief. Und sicherlich fragte sie sich auch, wieso Laura in der Nacht der Vergewaltigung in ihrem Büro übernachtet hatte. Aber falls Trixie Fragen hatte, so behielt sie die für sich.
Laura überlegte, ob sie Seth als Zeitungsverkäufer oder sonst jemand Wildfremden ausgeben sollte, beschloss aber, Trixies Reaktion abzuwarten. Als Laura die Tür aufmachte, zog Trixie sich gerade einen Pullover über den Kopf. »Der Mann da«, sagte sie, während ihr Gesicht noch unsichtbar war. »Was wollte der?«
Laura setzte sich aufs Bett. »Er war nicht deinetwegen hier. Ich meine, er ist kein Reporter oder so. Und er wird nicht wiederkommen. Nie mehr.« Sie seufzte. »Ich wünschte, wir müssten dieses Gespräch nicht führen.«
Trixies Kopf tauchte aus dem Halsausschnitt auf. »Was?«
»Es ist vorbei, absolut, hundertprozentig. Dein Vater weià Bescheid, und wir versuchen ⦠na ja, wir versuchen, einen Weg zu finden, damit umzugehen. Ich hab einen Riesenfehler gemacht, Trixie«, sagte Laura mit tränenerstickter Stimme. »Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen, aber das kann ich nicht.«
Sie merkte, dass Trixie sie fixierte. »Willst du damit sagen ⦠du und er â¦Â«
Laura nickte. »Ja.«
Trixie lieà den Kopf hängen. »Habt ihr beide auch über mich gesprochen?«
»Er wusste, dass es dich gibt. Er wusste, dass ich verheiratet bin.«
»Wie kannst du das Daddy antun?« Trixies Stimme wurde laut. »Der Typ ist ja fast in meinem Alter. Das ist widerlich.«
Laura biss die Zähne zusammen.
»Ich hab nicht nachgedacht, Trixie â¦Â«
»Weil du zu sehr damit beschäftigt warst, dich zum Flittchenzu machen.«
Laura hob die Hand, um Trixie zu ohrfeigen. Millimeter vor Trixies Wange hielt sie inne, und beide waren sie einen Moment lang sprachlos. »Nein«, keuchte Laura. »Keine von uns sollte etwas tun, das wir nicht zurücknehmen können.«
Sie starrte Trixie an, bis ihre Tochter den Blick abwandte, bis die Wut sich auflöste und die Tränen kamen. Sie zog Trixie in ihre Arme und wiegte sie sanft. »Lasst ihr euch scheiden?« Die Stimme ihrer Tochter war hell, kindlich.
»Ich hoffe, nicht«, sagte Laura.
»Hast du ⦠hast du ihn geliebt?«
Laura schloss die Augen und dachte an Sethsâ Gedichte, lieà sie Wort für Wort auf ihrer Zunge zergehen, rhythmisch und unbeschreiblich. Sie spürte die Dringlichkeit des Augenblicks, wenn es zu lange dauerte, eine Tür aufzuschlieÃen, wenn Knöpfe nicht nacheinander geöffnet, sondern abgerissen wurden.
Aber da war Trixie, die, wenn sie gestillt wurde, Lauras Haar mit ihrer kleinen Faust festhielt. Trixie, die glaubte, dass der Wind Lieder sang und man sie lernen konnte, wenn man nur aufmerksam genug lauschte. Trixie, die der Beweis dafür war, dass Daniel und Laura
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