Schuldig
Oberfläche des Schädels waren verschiedene Begriffe aufgezeichnet: Witz, Ruhm, Rache, Glück.
Da klopfte es an der Tür, und fast im selben Moment trat Seth ein.
Laura starrte ihn erschrocken an.
»Fünf Minuten.« Er schloss die Tür ab. »Die bist du mir schuldig.«
Okay. Wenn sie ehrlich war, hatte sie es schön gefunden, dass Seth wusste, was ein Anapäst war oder eine Canzone. Sie hatte es schön gefunden, wenn sie im Vorbeigehen ihr gemeinsames Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe bemerkte und jedes Mal überrascht war. Sie hatte es schön gefunden, an einem verregneten Nachmittag Scrabble zu spielen, wenn sie eigentlich hätte Klausuren korrigieren oder an einer Fakultätssitzung teilnehmen müssen. Aber nur weil sie sich an dem Tag krankgemeldet hatte, hieà das noch lange nicht, dass sie keine Professorin mehr war. Nur weil sie ihre Familie verlassen hatte, hieà das noch lange nicht, dass sie keine Ehefrau, keine Mutter mehr war. Ihre gröÃte Sünde war, dass sie das alles überhaupt vergessen hatte.
»Seth«, sagte sie. »Ich weià nicht, wie ich es dir leichter machen kann. Aber â¦Â«
Aber ich liebe meinen Mann.
Ich habe nie aufgehört, ihn zu lieben.
»Ich muss mit dir reden«, sagte Seth leise. Er warf eine zusammengerollte Zeitung auf den Tisch.
Laura hatte sie schon gesehen. Der Aufmacher verkündete die neue Anklage, die von der Staatsanwaltschaft erhoben worden war. Jason Underhill galt ab jetzt vor dem Gesetz als Erwachsener, weil in der Blutprobe des Opfers Spuren einer Vergewaltigungsdroge nachgewiesen worden waren.
»Ketamin«, sagte Seth.
Laura sah ihn verständnislos an. Die Staatsanwältin hatte gesagt, die in Trixies Blut gefundene Substanz zähle noch nicht einmal zu den besonders verbreiteten Vergewaltigungsdrogen. Und der Name stand auch nicht in dem Zeitungsartikel. »Woher willst du das wissen?«
Seth setzte sich auf die Schreibtischkante. »Ich muss dir was sagen«, begann er.
»Ich komm ja schon!«, schrie Trixie durch die offene Tür, als ihr Vater zum dritten Mal hupte. Mann! Sie hatte gar keine Lust, in die Stadt zu fahren, und es war schlieÃlich nicht ihre Schuld, dass der Pizzakäse, den er fürs Abendessen nehmen wollte, verschimmelt war. Es ging ihr einfach gewaltig auf die Nerven, dass beiden Eltern offenbar nicht wohl bei dem Gedanken war, Trixie aus den Augen zu lassen.
Sie stieg in das erste Paar Stiefel, das sie finden konnte, und stapfte nach drauÃen zum Pick-up. »Können wir nicht einfach Suppe essen?«, sagte Trixie patzig, dabei meinte sie in Wahrheit: Was muss ich tun, damit ihr mir wieder vertraut?
Ihr Vater fuhr los. »Ich weiÃ, du hättest es gern, wenn ich dich allein zu Hause lassen würde. Aber du weiÃt hoffentlich auch, warum das nicht geht.«
Trixie verdrehte die Augen Richtung Fenster. »Wie du meinst.«
Als sie in die Stadt kamen, stauten sich die Autos. Leute mit bunten Mützen und Schals strömten über die StraÃe wie Konfetti. Trixies Magen zog sich zusammen. »Welches Datum haben wir heute?«, murmelte sie. Sie hatte die Schilder in der ganzen Schule gesehen: EISZAUBER IN BETHEL â MACHT EUCH WINTERFEST! KOMMT ZUM WINTERFEST!
Trixie drückte sich tief in den Sitz, als drei Mädchen, die sie von der Schule kannte, am Auto vorübergingen. Alle kamen zum Winterfest. Als sie klein war, hatten ihre Eltern sie immer mitgenommen. Letztes Jahr hatte Trixie sich zusammen mit Zephyr als Elfe verkleidet. Sie hatten SüÃigkeiten an die Kinder verteilt, die darauf warteten, dem Weihnachtsmann neben dem Fotoladen auf den Schoà zu klettern.
Dieses Jahr würde es keine Freude sein, die HauptstraÃe hinunterzugehen. Zuerst würde niemand sie bemerken, aber dann würde irgendwer zufällig aufmerksam werden, und man würde mit dem Finger auf sie zeigen. Die Leute würden darüber tuscheln, dass Trixie nicht geschminkt war und dass ihr Haar so ungepflegt aussah. Mit Blicken würden sie ihr Löcher in die Jacke brennen, und sie würde in Flammen aufgehen, bis nur noch ein kleines Häuflein Asche übrig war.
»Daddy«, sagte sie, »lass uns nach Hause fahren, bitte.«
Ihre Vater sah zu ihr rüber. Inzwischen waren sie von der HauptstraÃe abgebogen und standen bereits auf dem Parkplatz hinter dem Supermarkt. Trixie sah ihm an, wie unentschlossen er
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