Schuldig
zunächst gefasster gewirkt. Er hatte Bartholemew gedankt und gesagt, dass er Jason jetzt gern sehen würde. Dann war er hinaus in den Schnee gegangen, ohne Mantel, barfuÃ.
Die Nachricht von Hollys Unfall war Bartholemew damals von seinem eigenen Chef überbracht worden. Er hatte gewusst, dass das Schlimmste passiert war, als er mitten in der Nacht den Polizeichef vor seiner Tür stehen sah. Er erinnerte sich, dass er zu der Unfallstelle gefahren werden wollte und wie er dort an der Leitplanke gestanden hatte, durch die sie mit dem Auto gerast war. Er erinnerte sich auch noch, wie er Holly in der Leichenhalle des Krankenhauses identifiziert hatte. Bartholemew hatte das Tuch weggezogen und die Einstichnarben auf ihren Armen entdeckt, die er als Vater übersehen hatte. Er hatte eine Hand auf Hollys Herz gelegt, nur um ganz sicherzugehen.
Die Underhills wollten Jason sehen, und das Recht würde ihnen vor der Obduktion gewährt. Die Opfer von Unfällen, Suiziden und Morden landeten alle automatisch in der Rechtsmedizin, wo die genaue Todesursache bestimmt wurde. Das war nicht nur polizeiliche Routine. Wir wollen wissen, was falsch gelaufen ist, auch wenn es auf diese Frage im Grunde keine Antwort gibt.
Am Montag nach Jason Underhills Selbstmord kamen zwei Psychologen in die Highschool, um den schockierten Schülern beizustehen. Das Eishockeyteam spielte nur noch mit schwarzen Armbinden und gewann dreimal hintereinander. Sie alle hatten geschworen, zu Ehren ihres toten Mannschaftskameraden den Meistertitel zu holen. Im Sportteil der gröÃten Zeitung Portlands wurden Jasons sportliche Leistungen ganzseitig gewürdigt.
Am selben Tag kaufte Laura im Supermarkt ein. Sie bewegte sich ziellos durch die Gänge, warf Trockenpflaumen, gehackte Mandeln und Büffelmozzarella in den Einkaufswagen. Irgendwo hatte sie einen Einkaufszettel, auf dem normale Sachen wie Brot und Milch standen â sie hatte das Gefühl, dass normale Dinge nicht mehr in ihr Leben gehörten und es daher sinnlos war, sie zu kaufen. SchlieÃlich stand sie vor den riesigen Tiefkühlschränken. Sie hatte eine Tür geöffnet, und die Kälte quoll ihr entgegen. Es gab so unendlich viele Eissorten. Wie sollte man sich denn für eine einzige entscheiden?
Laura griff gerade nach einer Pfirsicheispackung, als sie zwei Frauen hörte, die sich im Nachbargang unterhielten. »Eine echte Tragödie«, sagte eine. »Der Junge hätte eine groÃe Zukunft gehabt.«
»Ich hab gehört, Greta Underhill liegt nur noch im Bett«, fügte die zweite Frau hinzu. »Unser Pastor hat von ihrem Pastor erfahren, dass sie vielleicht nicht mal an der Beerdigung teilnehmen kann.«
Vor einer Woche war Jason trotz des Vergewaltigungsvorwurfs für die meisten in dieser Stadt noch immer ein Held gewesen. Jetzt hatte sein Tod ihn zum Mythos erhoben.
Laura umfasste den Griff ihres Einkaufswagens. Sie manövrierte ihn um die Ecke und hielt direkt vor den beiden Frauen. »Wissen Sie, wer ich bin?« Die Damen wechselten Blicke, verneinten mit einem Kopfschütteln. »Ich bin die Mutter des Mädchens, das von Jason Underhill vergewaltigt wurde.«
Sie sagte es, um sie zu schockieren. Sie sagte es für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Frauen sich aus einem plötzlichen Schamgefühl heraus entschuldigen wollten. Aber keine von beiden sagte ein Wort.
Laura steuerte ihren Einkaufswagen um die nächste Ecke und auf die Kasse zu. Die Kassiererin hatte blaues Haar und einen Ring in der Unterlippe. Laura griff in den Wagen und hielt eine Tube Sonnencreme in der Hand â wann hatte sie die denn aus den Regalen genommen? »Eigentlich«, sagte sie zu der Kassiererin, »brauch ich die gar nicht.«
»Kein Thema. Räumen wir wieder ein.«
Sechs Packungen Sauce hollandaise, Schinkenwürfel und Babynahrung, Thai-Kokosmilch, ein Trinkbecher, Haargummis und zwei Pfund grüne Jalapeños, das Pfirsicheis. Sie starrte die Sachen auf dem FlieÃband an. »Ich will nichts davon«, sagte Laura erstaunt, als hätte Gott weià wer sie dort hingelegt.
Dr. Anjali Mukherjee hielt sich die meiste Zeit in der Leichenhalle auf â nicht bloÃ, weil sie die zuständige Gerichtsmedizinerin war, sondern auch, weil sie immer für eine Medizinstudentin oder, noch schlimmer, für eine Praktikantin gehalten wurde, wenn sie sich mal nach oben ins Krankenhaus wagte. Sie war
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