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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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und jetzt stottert er deutlich, »ob Sie hier in der Nähe wohnen.«
    »Unten am Platz«, antwortet die Finnin rasch.
    Martin denkt nach. Er glaubt zu wissen, welches Haus sie meint. Es gibt unten am Platz ein Haus, in dem die Behörden die Einwanderer aus Finnland zusammengetrieben haben.
    »Im Ghetto?«, fragt er, ohne zu überlegen.
    Einen Augenblick danach beißt er sich auf die Lippen und schüttelt heftig den Kopf. Welche Unverschämtheit! Dass er nie lernt nachzudenken!
    »Verzeihen Sie«, beeilt er sich zu sagen.
    »Das ist mir nur herausgerutscht. Ich hab es nicht böse gemeint.«
    »Aber ich bitte Sie!«, antwortet die Frau, ohne dass er Bitterkeit heraushören kann. Es scheint eher so, als wäre sie amüsiert.
    »Ich wohne im Finnenghetto«, fügt sie mit leisem Lachen hinzu, »und ich hätte nichts dagegen, wenn ich von dort wegziehen könnte.«
    Dann wird kein Wort mehr gesprochen, bis sie zum nächsten Haus kommen. Martin stellt umständlich den Kinderwagen ab und achtet darauf, dass die Handbremse angezogen ist. Die Finnin steht einige Schritte entfernt und betrachtet ihn. Es ist etwas Rastloses über sie gekommen, und Martin begreift, dass es wieder auf ihn ankommt, etwas zu sagen, aber es ist schwer für ihn, etwas Passendes herauszubringen. Dann wird es der Frau leid zu warten, und sie geht zum Kinderwagen, wo sie unter den Zeitungen zu wühlen beginnt. Mit einem dicken Packen in der Hand wendet sie sich an Martin.
    »Danke für ihre Hilfe«, sagt sie, und jetzt wird eine Spur von Müdigkeit oder Enttäuschung in ihrer Stimme hörbar.
    Das Schweigen, das nun folgt, wirkt fast beklemmend. Es ist, als hätten sie einen Wall zwischen sich aufgebaut, und als dieser endlich niedergerissen wird, geschieht es mit einem gewaltigen Donnern.
    »Ich heiße Martin.«
    Martins Stimme dröhnt wie Gebrüll, und die Finnin zuckt zusammen. Dann funkelt es in ihren Augen, und sie lächelt in einer mütterlichen Art, wie es Frauen tun können, wenn sie fühlen, dass jemand eine Beschützerin braucht.
    »Oiva«, sagt sie leise. »Mein Name ist Oiva.«
    Obwohl dies fast wie eine Aufforderung klingt, wird Martin wieder maulfaul. Das Lächeln der Frau schwindet, und sie rümpft ein weinig irritiert die Nase. Dann sammelt sie die Zeitungen zusammen, die im Haus verteilt werden sollen. Martin steht daneben und sieht zu, und sie verabschieden sich mit einem leichten Kopfnicken, als sie einen Augenblick in der Türöffnung stehen bleibt. Danach fällt die Haustür wieder hinter ihr ins Schloss, und erst da weiß Martin, was er sie hätte fragen sollen.
    Jetzt ist es zu spät. Er könnte auf sie warten, bis sie wieder herauskommt, aber aus einem unklaren Grund scheint dies zu eifrig oder aufdringlich. Außerdem gibt es die Möglichkeit, dass sie nein sagen könnte.
    Martin schüttelt den Kopf. Er ist nicht mehr so zufrieden, wie er es am frühen Morgen war. Mit raschen Schritten entfernt er sich, und als er sich an der nächsten Straßenecke umdreht, sieht er den Kinderwagen dastehen, zerschlissen und verlassen, als ob er riefe, man möge sich um ihn kümmern.
    Fünf Minuten später ist Martin wieder in seiner Wohnung. Er weiß nicht recht, was er tun könnte. Es geht ihm gegen den Strich, sich wieder hinzulegen. Deshalb macht er sich einen Morgenkaffee und setzt sich gegenüber der Kastanie ans Fenster. Er hat den Revolver hergeholt und ihn vor sich auf den Tisch gelegt. Hin und wieder spielt er mit dem Mechanismus. Dabei spricht Martin unablässig mit sich selbst. Gelegentlich brüllt er auf. Er ist zugleich sehr zufrieden und sehr unzufrieden. Schließlich ist er mit sich im Reinen. Es ist trotzdem ein schöner Morgen gewesen. In einigen Stunden wird er ins Zentrum gehen und das Schaufenster des Schuhgeschäfts inspizieren. Die Frau heißt Oiva. Er hat zum ersten Mal diesen Namen gehört. Er weiß, wo sie sich aufhält, und in einigen Tagen wird er sie aufsuchen.

7
    Das Hämmern im Kopf ist wiedergekommen. In der Nacht hat es Martin geweckt und ihm Angst gemacht. Es war, als bliebe das Herz einen Augenblick stehen. Gewöhnliche Tabletten helfen nicht gegen das Übel, und Martin will nicht zum Arzt gehen. Die Wahrheit ist, dass er niemals jemanden anvertraut hat, welchen Höllenlärm er in seinem Schädel manchmal aushalten muss. Dennoch glaubt er nicht, dass es ein ernstes Leiden sein könnte, und auch nicht, dass es unheilbar wäre. Dann würden die Beschwerden nicht für lange Zeit völlig verschwinden, wie dies manchmal

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