Schuldlos ohne Schuld
will gern glauben, dass der Vater sich schämte, aber da er dies nie zeigte, kann der Sohn selbst darüber keine Gewissenbisse verspüren, dass er den Vater für alle Zeit gebrochen hat. Für Martin war allein von Bedeutung, dass der Vater nicht mehr der Stärkere von ihnen war.
Die Schlägerei blieb ein Familiengeheimnis. Aus irgendeinem Grund unterließ es der Vater, die Behörden hineinzuziehen. Das einzige, was geschah, war, dass der Vater dem Sohn für alle Zeit das Haus verbot, und dies war eine Erleichterung für beide. Vater und Sohn sollten nie mehr darüber reden.
Eine Tante kümmerte sich um Martin, und einige Jahre später wurde der Vater beerdigt. Es rief eine gewisse Aufmerksamkeit hervor, dass das Grab des Blumenhändlers so sparsam mit Blumen geschmückt war. Die Tante hatte Martin überredet oder vielmehr unter Drohungen gezwungen, sie in die Kirche zu begleiten. Sie sagte, es sehe sonst übel aus, und sie stellte Martin ein Ultimatum. Entweder war er bei den Feierlichkeiten anwesend, oder er musste sich sofort eine neue Wohnung suchen.
Außer der Tante und Martin fanden sich nur wenige Trauergäste ein. Es gab einen Vertreter des Unternehmerverbandes und einige von Vaters Zechkumpanen, die alle sehr verlegen wirkten. Der Pfarrer war unbeteiligt und zerstreut, und zu Martins Erleichterung beeilte er sich mit der Zeremonie. Es waren nur drei Kränze vorhanden. Der eine davon stammte von der Tante, die, ohne dass es Martin bemerkte, seinen Namen auf die eingesteckte Karte geschrieben hatte.
Martin ist davon überzeugt, dass es den Vater quälte, ihn nicht enterben zu können. Noch heute fühlt er Befriedigung bei diesem Gedanken. Trotzdem wollte Martin mit dem Geld nichts zu tun haben. Die Summe, die übrig blieb, nachdem der Blumenladen (unter Wert) verkauft und die Bestattung und die Schulden bezahlt waren, brannte gleichsam in Martins Händen. In weniger als einem Jahr verspielte er alles beim Pferderennen, abgesehen von einigen tausend Kronen, die er auf ein Sparkonto einzahlte.
Seitdem hat Martin weder einen Blumenladen noch eine Trabrennbahn besucht.
Er verabscheut keine Blumen. Im Gegenteil. Es kam vor, dass er an einem Frühlingsbeet stehen blieb und den Anblick genoss, aber er war nie versucht, sich einen Blumenstrauß nach Hause mitzunehmen. Er hatte auch keine schlechte Meinung über Pferde, aber es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, ein Trabrennprogramm zu kaufen. Wenn er jetzt einmal spielte, dann immer nur Lotto.
Auf eine schwer erklärbare, aber doch endgültige Weise ist er zum Schluss gekommen, dass Blumen und Pferde etwas Ungebührliches gemeinsam haben. Er hat den Eindruck, dass sie riechen. Nach Tod und Leichenhaus. Deshalb gibt es nie eine lebende Blume in Martins Wohnung, nicht einmal eine geduldige Begonie.
Es kann nie falsch sein, zurückzuschlagen. Der Starke schützt sich selbst und zögert nie, wenn er angegriffen wird. Nur die Feigen verfallen in Weinen und behaupten ängstlich, dass man die andere Wange hinhalten soll. So ist das. Wenn er dies schon viel früher begriffen hätte, wenn er den Mut und die Kraft gehabt hätte, dann wäre er nie zu einen armen Tropf ohne Bedeutung geworden.
Ganz entspricht es nicht mehr der Wahrheit. Dass er ohne Bedeutung oder ein armer Tropf ist. Das sieht nur so aus. Im vergangenen halben Jahr hat er eine Veränderung durchgemacht. Martin ist kein anderer Mensch geworden, aber er fühlt sich niemand anderem mehr unterlegen. Es gibt Augenblicke, in denen er im Gegenteil glaubt, dass er überlegen ist. Natürlich betrachten ihn die anderen weiterhin als einen Untermenschen und haben ihn, rein formal gesehen, in einen Bürger zweiter Klasse verwandelt, als sie ihn vorzeitig in Ruhestand schickten. Dennoch weiß Martin, dass er Recht und die anderen Unrecht haben. Er ist kein Untermensch mehr, und das will er ihnen beweisen.
Martin steigt aus dem Bett und reibt sich kalt ab. Das tut gut. Dann stellt er sich nackt ans offene Fenster. Das einzige Lebendige, das man hört, ist der Gesang der Vögel. Er glaubt, ein schwaches Piepsen vom Kastanienbaum wahrzunehmen. Die jungen Elstern sind aufgewacht. Die Stadt schläft im Übrigen immer noch, es ist Sonntagmorgen. Der einzige von Menschen erzeugte Laut, den er hören kann, ist das grämliche Murren eines schlaftrunkenen Autos, das schwer starten kann. Der Himmel ist fahl verhangen, es regnet aber nicht. Als Martin sich vom Fenster abwendet, hat er einen Entschluss gefasst. Er ist sehr
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