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Schuldlos ohne Schuld

Schuldlos ohne Schuld

Titel: Schuldlos ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell-Olof Bornemark
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geschieht. Er verlässt sich nicht auf die Ärzte, wie er sich auch nicht auf die Vertreter der Obrigkeit verlässt. Martin weiß, dass die sich irgendetwas in den Kopf setzten könnten. Wenn der Arzt einen Wink von der Obrigkeit bekommt, hat er nichts dagegen, einen Menschen ein Leben lang einzusperren. Dann heißt es für gewöhnlich, dass dies zum Wohle der Gesellschaft geschieht, nie zum Wohle des Kranken. Deshalb fürchtet Martin am allermeisten, dass er nach einem Besuch bei einem praktischen Arzt zu einem Psychiater überwiesen wird. Jeder weiß doch, dass die ebenso verrückt sind wie ihre Patienten. Aus diesem Grund würde es ihm nie einfallen, sich jemandem anzuvertrauen und von seinem Kopfweh zu erzählen. Er begreift jetzt, dass er irgendwie Glück gehabt hatte, als der Arzt der Krankenkasse an seinem Fall so völlig uninteressiert war und ihn einfach vorzeitig pensionierte. Der Arzt hatte seine Entscheidung bereits getroffen, bevor er den Patienten überhaupt sah.
    Martin glaubt, das Hämmern käme daher, dass er die letzten Tage so viel gegrübelt hat. Am Sonntag früh war er frisch und klar im Kopf gewesen. Auf dem Heimweg nach dem Anschlag auf das Fenster des Schuhhändlers hatte er sich aufgekratzt und stark gefühlt. Es war, als wäre es ihm endlich gelungen, sich einen sichtbaren Platz in der Welt zu verschaffen. Später die Begegnung mit Oiva – welch ein schöner, aufregender Name … Oiva! – hatte sein Selbstgefühl weiter gestärkt. An diesem Morgen ging er wie im Rausch in seiner Wohnung hin und her. Es war ihm unmöglich ruhig zu sitzen. Nach einigen Stunden wurde er plötzlich maßlos müde, legte sich angekleidet ins Bett und schlief ein. Als er erwachte, war er ernüchtert. Sein Kopf war voller Selbstvorwürfe. Nicht einmal die Erinnerung an den geglückten Anschlag auf das Schaufenster und das Bild von ihm selbst, wie er die schwere Parkuhr in die Höhe hob, vermochte die innere Anklage dämpfen. Die Vorwürfe galten seiner unbeholfenen Art in den kurzen Minuten, als er mit Oiva zusammen war. Warum hatte er eine solche Gelegenheit nicht ergriffen? Warum hatte er sie nicht sofort in ein Gasthaus eingeladen? Er hätte ein Lokal in der Innenstadt vorschlagen können. Er ist sich fast sicher, dass sie ja gesagt hätte.
    Natürlich weiß er, warum er sich so untätig verhielt und auch wessen Schuld das ist. Es ist nicht sein Fehler, dass er weder damals noch heute genug Geld hat. Schuld sind die, die ihn hindern zu arbeiten und die ihn in einen Menschen zweiter Klasse verwandelt haben, einen armen Schlucker, der gezwungen ist, auf jeden Groschen zu schauen.
    Martin hat nur noch einige hundert Kronen in seiner Brieftasche. Die müssen bis nächste Woche reichen. Dann erst bekommt er das monatliche Almosen von der Rentenversicherung.
     
    Die Parkuhren sind jetzt ordentlich eingegraben und mit Betonfundamenten gesichert. Sie glänzen herausfordernd in ihrer obrigkeitsbewussten Pracht. Die Straßenarbeiter sind hier gewesen und haben gute Arbeit geleistet. Niemand kann mehr die Uhren aus eigener Kraft hochheben. Sie sind nicht mehr als Fensterbrecher zu gebrauchen.
    Martin steht einige Schritte vom Geschäft des Schuhhändlers entfernt; er trägt leichte Sommerkleidung. Die Sonne brennt, und sein Gesicht glüht, obwohl es nach sechs Uhr abends ist. Seit einigen Tagen trägt er immer außer Haus eine dunkle Brille. Dies geschieht nicht nur wegen der Kopfschmerzen. Martin hat die Hemdsärmel hochgekrempelt, und die Tätowierung auf dem rechten Arm starrt böse und warnend auf die Vorübergehenden. Viele von ihnen machen einen Bogen um ihn oder beschleunigen ihre Schritte. Er murmelt die ganze Zeit halblaut vor sich hin, und sie denken, dass er wild aussieht. Das ist eine Täuschung, aber sie ist verständlich. Trotzdem ist Martin gerade jetzt ungefährlich, fast ganz wehrlos. Das wilde in seinem Auftreten rührt daher, dass er mit sich selbst ringt, dass er unzufrieden bis an die Grenze der Verzweiflung ist. Er musste einsehen, dass er versagt hat, auch wenn dies schwer und ungerecht wirkt.
    Dreimal ist er in den vergangenen Tagen zum Schaufenster des Schuhhändlers zurückgekehrt. Der Glaser hat eine neue Scheibe eingesetzt, und alle Spuren der Verwüstung vom Sonntagmorgen sind beseitigt worden. Die Glassplitter hat man weggefegt. Der Glaser war bereits am Montagnachmittag fertig gewesen, und am selben Abend hatte der Schuhhändler neu dekoriert. Martin stand eine Weile auf der anderen Seite

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