Schuldlos ohne Schuld
was auch immer er behauptet. Auch wenn das Verbrechen nicht aufgedeckt oder die Beweise anfechtbar sind, wissen alle, dass er etwas Strafbares begangen hat. Deshalb ist es nicht ohne Belang, wen das Gericht freispricht und wen es bestraft. Der Schwache soll sich nicht einbilden, das Gericht sei dazu da, dass er Recht bekommt. Die Gesetze sind entstanden, um die Macht aufrechtzuerhalten, und das theatralische Verfahren mit Ankläger, Verteidiger und einer blinden Justitia im Hintergrund ist nicht anderes als ein Blendwerk, das die Aufgabe hat, Angst und Gehorsam zu erzeugen.
Martin wurde auf Bewährung verurteilt, da er zum ersten Mal vor Gericht stand. Er wurde zur Zahlung eines saftigen Bußgeldes verurteilt, außerdem hatte er für Schadensersatz aufzukommen. Im verklärten Glanz fügt die Richterin hinzu, dass Martin nicht mit derselben Milde rechnen könne, wenn sie sich noch einmal Auge in Auge gegenüberstehen sollten. Martin glaubte in ihrem Blick sehen zu können, dass sie eine solche Gelegenheit herbeisehnte.
Die Urteilsbegründung, aber auch die Wahrheit, wie Martin sie sah, waren folgende:
Der Angeklagte, Martin Larsson, hat sich der Erregung öffentlichen Ärgernisses schuldig gemacht.
- Die Finnen haben mit der Schlägerei angefangen, und zwar mit Vorsatz.
Der Angeklagte hat sich der Körperverletzung schuldig gemacht, die jedoch als geringfügig zu beurteilen ist.
- Die Finnen haben sich von hinten über ihn geworfen, und er hat sich verteidigt. Keiner außer ihm war auch nur blutig.
Der Angeklagte hat Widerstand gegen die Polizei bei der Dienstausübung geleistet.
- Bah! Die dickste Lüge von allen! Sie haben ihm die Arme hochgedreht und ihm dann in den Unterleib getreten.
Im Gerichtssaal wurde Martin mehrmals zum Schweigen gebracht. Er trat nicht in der Weise auf, wie es das Gericht erwartete. Nur als er erzählte, wie er Oiva getroffen und ihr mit den Zeitungen den Hügel hinauf geholfen hatte, hörten die Richterin und die anderen zu.
Zwar behauptete die Staatsanwältin, dass dies für die Verhandlung belanglose Fakten seien, aber an dem nachdenklichen Lächeln der Richterin sah Martin, dass sie verstanden hatte. Damit war das Urteil schon gefällt.
Das Gericht sah keinen Grund, den verlogenen Bericht der Funkstreife, Martin habe bei seiner Verhaftung Widerstand geleistet, in Frage zu stellen. Die Zeugenaussagen der beiden Polizisten stimmten in allen Einzelheiten überein. Die Polizei verhielt sich korrekt und pflichtgemäß, wie es Gesetzesdienern ansteht. Oiva hatte Tränen in den Augen, als sie schilderte, wie Martin sie verfolgt und bedroht habe. Sie verwickelte sich zwar mehrmals in Widersprüche, aber die Richterin sagte, sie verstehe, dass dies auf Sprachschwierigkeiten zurückgeführt werden könne. Trotzdem war Oivas Zeugenaussage schließlich so dünn und durchsichtig, dass sogar die Staatsanwältin wegschaute und in ihrem Schlussplädoyer kein größeres Gewicht darauf legte.
Die Geldstrafe und der Schadensersatz sollten von Martins Rente abgezogen werden. Im nächsten halbe Jahr musste er vom Existenzminimum leben. Einige Wochen nach dem schriftlichen Bescheid gelang es ihm, einen Termin bei der Staatsanwältin, die die Entscheidung getroffen hatte, zu bekommen. Über eine Stunde rutschte er im schmutzigen Wartezimmer mit Aschenbechern, die übervoll von nervös zerdrückten Zigarettenstummeln waren, hin und her, bis sie ihn empfing. Ein Assistent war die ganze Zeit anwesend.
Martin versuchte die Staatsanwältin dazu zu bewegen, die Höhe der monatlichen Zahlungen für Schadensersatz und Geldbuße zu verringern.
»Kein Mensch kann von dem bisschen, was übrig bleibt leben«, sagte er.
Martin bat nicht um Gnade, nicht einmal um Barmherzigkeit, sondern um ein wenig menschliches Wohlwollen.
»Die Entscheidung ist nach gesetzlicher Ordnung getroffen, sie kann nicht geändert werden«, antwortete die Staatsanwältin.
Als Martin etwas murmelte, was sie nicht verstand, und dann weiter vor sich hinredete und starr auf die Tischplatte vor sich herabsah, wurde es still im Zimmer. Dann entdeckte er den triumphierenden Glanz in ihren Augen.
»Ich schaffe das nicht«, sagte er, und er wusste, dass seine Stimmer kräftiger klang als er wollte.
»Ich schaffe es nicht.«
»Die Vorschriften sind so«, antwortete sie darauf.
Dann lächelte sie ihr frigides Paragraphenlächeln, und man konnte die Schadenfreude nicht verkennen. Jeder sucht Befriedigung auf seine Weise.
»Ich sehe
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