Schuldlos ohne Schuld
sich die Macht verschafft haben.
Eigentlich fühlt sich Martin recht zufrieden bei den Schlussfolgerungen, zu denen er gekommen ist, und er lacht sich ins Fäustchen. Er hat nicht einen einzigen Satz formuliert, nicht eine einzige Sentenz geschrieben. Alles war sporadisch und unzusammenhängend hervorgetreten. Trotzdem sind alle Unsicherheiten und alle Zweifel fort. Nicht Gerechtigkeit will Martin haben, sondern Rache.
Mit der Zeit war eine Zusammengehörigkeit zwischen Martin und dem Revolver entstanden. Er sieht in ihm nicht mehr den todbringenden und gefährlichen Gegenstand, zu dem man gehörigen Abstand halten muss, sondern eher ein unentbehrliches Hilfsmittel oder einen guten Freund. Ohne Revolver wäre er ganz hilflos.
Martin schiebt die Karten beiseite und ergreift die schwere Waffe. Er drückt sie gegen die Brust und fühlt nicht die Kälte, sondern Wärme.
Dann sitzt er lange still da und sieht in das winterliche Dunkel hinaus. Nicht nur der Revolver schenkt ihm Sicherheit in seiner monotonen Einsamkeit, sondern jetzt auch die Gewissheit, dass er eine unwiderrufliche Entscheidung getroffen hat. Er hat etwas, dem er entgegensehen kann, und er weiß, dass das, was ihm bevorsteht, entscheidend sein wird für sein ganzes künftiges Leben. Er sieht keine Bilder vor sich und er fühlt keinen Blutdurst. Er spürt nicht einmal eine Spannung, sondern nur eine große Ruhe, die ihn umfängt und ihm endlich Sicherheit schenkt.
Irgendwo in der Ferne feuert ein ungeduldiger junger Mann eine verfrühte Neujahrsrakete ab. Es sind noch mehrere Tage bis Neujahr. Der Sternenregen stirbt nach einigen Sekunden ab, bleibt aber in Martins Augen, und er trägt ihn mit sich, als er ins Bett kriecht und das Licht löscht, während der Revolver auf dem Nachttisch liegt.
12
Wenn die Vorbereitungen für die Jagd getroffen sind und der Jäger seine mühsame Suche nach der Beute beginnt, ist er von großer Ruhe erfüllt. Er begibt sich mit festen, zielbewussten Schritten zum Jagdgebiet, und es gelingt ihm, den rastlosen Eifer, den er in sich fühlt, zu bezähmen. Nie sieht er sich um, wenn er seinen Wohnsitz verlässt.
Von denen, die die Morgendämmerung abwarten, bevor sie zu ihren Waffen greifen, wird ebenso wie von denen, die die nächtliche Jagd vorziehen, List und Verschlagenheit verlangt. Jäger bei Tageslicht haben nur dann nichts zu befürchten, wenn sie sich auf ihren scharfen Blick, vor allem aber auf ihre eigene Schnelligkeit und die ihrer Waffen verlassen können. Sie treten am liebsten in größeren oder kleineren Gruppen auf. Allein sind sie zu sehr gefährdet. Ihnen fehlt sogar im Augenblick des Angriffs die Ausdauer, und ihr Spürsinn ist begrenzt. Dafür schrecken sie ihre Beute mit wildem Rufen und viel Lärm auf, wenn sie sie aus dem Dickicht oder dem Versteck, in dem sie sich verbirgt, hochjagen wollen.
Wenn der Abend kommt, kehren sie in ihre Quartiere zurück, um wichtigtuerisch, aber in großer Eintracht ihre Beute zu verzehren. Danach ergeben sie sich oft einer grässlichen Sauferei. Erst im Morgengrauen schließen sie die Augen und sinken in den Schlaf, um von den sonnenbeschienen Jagdgründen zu träumen.
Wie anders verhält sich dagegen der nächtliche Jäger! Für ihn ist die Dunkelheit ein nützlicher Schutz, wenn er lautlos einer Spur nachgeht und seine Beute verfolgt. In punkto Sehkraft, Gehör und Wachsamkeit ist er dem Tagesjäger weit überlegen. Die im Hellen auf die Jagd gehen, werden trotz ihrer Vorsicht aus größerer Entfernung oder im steppigen Gelände allzu leicht entdeckt. Warnrufe ermöglichen die Flucht der Beute, und wer sich verteidigen kann, bewaffnet sich. Die Wehrlosen fliehen.
Der nächtliche Jäger ist ein Totschläger, der von niemandem gesehen und gehört wird. Wenn er sein Opfer ausgespäht hat, kann er es stundenlang unentdeckt verfolgen, um den geeigneten Augenblick abzuwarten, an dem sich die Beute in Sicherheit glaubt und sich deshalb auf die mondbeschienenen Lichtungen oder an die offenen lebensspendenden Wasserstellen hinauswagt. Sein Angriff ist blitzschnell und der tödliche Schlag kommt so überraschend und so endgültig, dass die Beute keine Zeit zum Widerstand hat oder auch nur zu begreifen, dass sie sterben wird.
Nicht aus Feigheit tarnt sich der Nachtjäger in der Dunkelheit und wartet scheinbar arglistig den richtigen und für das Opfer überraschenden und folgenschweren Augenblick ab. Für ihn existieren weder Wut noch Feigheit. Dies sind die beiden Seiten
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