Schule der Lüfte wolkenreiter1
eingeschlossen waren. Sie schob den Riegel vor, starrte auf das Holz und lauschte angestrengt. Ihre Brust kribbelte immer noch dort, wo die Gerte sie berührt hatte.
Sie hörte die weichen Stiefel des Fremden auf den drei Stufen. Er musste ganz in der Nähe der Tür sein, denn er
flüsterte mit seiner hohen Stimme, aber sie verstand jedes Wort. »Merken Sie sich, was ich gesagt habe, Larkyn Hammloh. Sie könnten alles verlieren, Sie und Ihre Familie. Das ist keine leere Drohung.«
Lark antwortete ihm nicht. Sie sog Tups sauberen Geruch in sich auf, der das widerliche Parfüm aus ihrer Nase vertrieb, und rührte sich nicht, bis sie die Hufschläge des Fuchses hörte, die langsam verhallten, und Molly oben an der Treppe meckerte. Vorsichtig hob Lark den Balken und drückte die Tür auf.
Er war weg. So weit ihr Auge reichte, war nichts mehr von ihm zu erkennen.
Gefolgt von Tup, ging sie die Stufen hoch und schlich langsam um die Ecke herum zur Küchentür. Die Sonne schien so hell wie immer, doch Lark zitterte. Während sie in die Küche trat, die Schürze umband und den Braten mit Knoblauch und Pfeffer einrieb, fasste sie immer wieder mit der Hand an ihre Brust, wo sich die Berührung der Gerte wie ein Brandzeichen in ihre Haut geätzt zu haben schien.
Kapitel 8
L ark erzählte ihren Brüdern nichts von dem Besuch des Fremden. Mehr als einmal war sie kurz davor, mit Broh darüber zu reden, Nikh um Rat zu fragen, alles beim Abendessen auszuplaudern, doch die Angst schien ihre Zunge zu lähmen. Bei der Vorstellung, wie Broh wutentbrannt den Vogt und den Friedensrichter aufscheuchte und in die Wei ße Stadt eilte, um sich bei den Männern des Fürsten über die Behandlung seiner Schwester zu beschweren, erschauerte sie. Sie redete sich ein, sie müsse an so vieles denken und so vieles vorbereiten, dass sie viel zu beschäftigt sei und für so etwas gar keine Zeit habe. Außerdem war doch eigentlich gar nichts geschehen, jedenfalls nicht wirklich. Der Mann hatte mit ihr gespielt, sie verspottet, aber er hatte sie nicht verletzt. Dennoch erinnerte sie sich mit erschreckender Deutlichkeit an diesen Tag, insbesondere wenn sie allein auf der Farm war, die Pflanzen des Vorjahres aus den Beeten harkte, Butter im Kühlkeller schlug oder die Ziegen und Kühe auf der nördlichen Weide grasen ließ. Sie erinnerte sich an Philippa Winters vornehmen Akzent, als sie die Hammlohs darüber informiert hatte, dass sie den Unteren Hof verlieren könnten. Und dieser merkwürdige Mann mit den hellen Haaren, der weichen Haut und der seltsamen hohen Stimme … er schien tatsächlich die Macht zu haben, so etwas zu tun.
Mittlerweile neigte sich die monatelange Vorbereitung
dem Ende zu. Tups und Larks Kopf waren gleich hoch, und das Fohlen fraß Heu und Gras ebenso wie Kraftfutter. Obwohl Mollys Milchfluss versiegt war, als der Appetit des Fohlens nachgelassen hatte, trottete die kleine Ziege weiterhin treu neben ihm her und schlief jede Nacht in seinem Stall. Beide Tiere begleiteten Lark überallhin, und wenn sie in der Küche war, standen sie zusammen unter dem Rautenbaum und warteten, bis sie wieder herauskam.
»Deine Ziege wird vor Kummer vergehen, wenn du in der Akademie bist«, sagte Nikh eines Abends. Die Luft war warm wie Badewasser und roch nach vielerlei Pflanzen. Die Familie hatte sich zum Mahl draußen um einen verwitterten Holztisch versammelt, der vor langer Zeit von einem Hammloh gezimmert worden war. An schönen Abenden saßen sie häufig mit den Rücken an das Haus gelehnt und sahen sich die Sonnenuntergänge an, die den Himmel über dem Scheunendach im Sommer gelb leuchten und im Herbst rot glühen ließen. Das Fohlen und die kleine Ziege knabberten derweil ein bisschen Gras am Gartenzaun.
Lark hatte ein altes Tuch ausgebreitet und darauf Frühtomaten und Gemüse mit einem Käserad, einem frischen Wecken und einer großzügigen Portion ihrer eigenen süßen Butter angerichtet. Mit offenem Mund starrte sie Nikh an. »Warum …? Aber Nikh, Molly kommt natürlich mit!«
Mit einem Seufzer ließ sich Broh auf der Bank nieder und streckte die Beine lang von sich. »Lark. Diese vornehmen Ställe sind für Pferde gedacht und nicht für kleine Ziegen aus dem Hochland.«
Lark wandte sich an ihren ältesten Bruder. »Aber Tup braucht sie! Und sie ist so an ihn gewöhnt!«
»Abschiede sind eben hart. Jetzt setz dich hin und iss.«
Lark wandte dem prachtvollen westlichen Himmel den Rücken zu und sah ihren Brüdern in die
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