Schule der Lüfte wolkenreiter1
hinunterliefen. »Das werde ich niemals vergessen! So etwas Schreckliches habe ich noch nie gesehen.«
»Ich auch nicht«, pflichtete Hester ihr bei. Sie ließ sich neben Lark auf die Pritsche sinken. »Ich habe noch nie jemand sterben sehen.«
Lark sah die beiden Mädchen verwirrt an. Wie hatten sie in ihrem Alter – Hester war mindestens achtzehn, und Anabel war sicherlich nicht viel jünger – noch nie dem Tod begegnen können? Natürlich war ihr klar, dass die beiden niemals Ziegen gehütet, Kühe gemolken oder ein Fohlen zur Welt gebracht hatten. Aber der Tod gehörte doch zum
Leben dazu. Wie behütet mussten sie aufgewachsen sein! Wie sehr unterschied sich doch das Leben eines Bauernmädchens aus dem Hochland von dem dieser vornehmen Töchter von Oc.
Sie würde wohl vergeblich irgendwelche Gemeinsamkeiten mit ihnen suchen.
Mit Ausnahme, selbstverständlich, der geflügelten Pferde!
Als Philippa am nächsten Morgen in Begleitung von Margret und den anderen Pferdemeisterinnen die Halle verließ, sah sie die große, schlanke Gestalt von Prinz Wilhelm, der soeben die Stallungen betrat. Sein brauner Wallach lief frei auf der Trockenkoppel umher. Beere, der Oc-Hund, be obachtete ihn mit gesträubtem Nackenhaar von der Mitte des Hofes aus.
»Hast du das gesehen, Philippa?«, murmelte Margret.
»Ja. Ich glaube, ich sollte wohl besser …«
»Ja, das fürchte ich auch.«
Philippa seufzte. Es blieb immer an ihr hängen, mit dem Fürsten zu verhandeln oder wahlweise mit seinem Sohn. Das hatte sich aus ihrer Vergangenheit so ergeben. Sie zog die Schirmmütze aus ihrem Gürtel, setzte sie auf und rückte sie zurecht. Dann rief sie eine der Reiterinnen zu sich. »Elisabeth!«
Das Mädchen wandte sich von ihrer Gruppe ab und eilte zu ihr. »Ja, Meisterin Winter.«
»Sorgen Sie dafür, dass alle aufzäumen und sich auf der Flugkoppel sammeln. Ich komme, sobald ich kann.«
Philippa bemerkte, dass Elisabeths Blick kurz zu den Stallungen zuckte, bevor sie ihre Meisterin wieder ansah. Die Mädchen der dritten Klasse hatten den Prinzen offensichtlich ebenfalls bemerkt. »Und tratschen Sie nicht«,
fuhr Philippa streng fort. »Wenn es etwas gibt, das Sie alle wissen müssen, werde ich Ihnen das schon mitteilen.«
»Ja, Meisterin. Die Klasse hält sich bereit.«
»Danke.« Philippa beobachtete, wie Elisabeth über das Kopfsteinpflaster zu den anderen Mädchen zurückging, die auf sie gewartet hatten. Sie hatte einen geschmeidigen Gang, hielt sich sehr gerade und hatte die Mütze keck über eine Augenbraue gezogen. In ihrem Äußeren ähnelte sie schon sehr einer Pferdemeisterin, was sie auch unbedingt werden wollte. Philippa seufzte noch einmal, drehte sich um und ging über den Hof zu den Stallungen. Sie wünschte, ihre Mädchen müssten sich nicht mit Politik abgeben, mit diesen unterschwelligen Strukturen von Macht, Intrigen und Gefahr. Doch Elisabeth ritt, wie auch Philippa, eine Noblen-Stute. Deshalb würde sie in Diensten des Adels stehen, ganz gleich, ob ihr Talent und ihr Können dort verschwendet wären. Man würde sie manipulieren, zur Schau stellen und ausnutzen. Ihr Idealismus und ihre Energie würden sich mit der Zeit in Abgeklärtheit und Pragmatismus verwandeln. Das war auch notwendig, sonst würde ihr das Leben schon bald unerträglich werden.
Philippa betrat die Stallungen und bog ohne zu zögern nach links ab. Es war ihr klar, was Wilhelm hier wollte. Er war gekommen, um nach Larkyn Hammlohs kleinem Schwarzen zu sehen. Sie ging nicht davon aus, dass er ihr erklären würde, warum. Ein stechender Schmerz fuhr von ihrem Nacken hinauf bis in den Kopf.
Sie lief um die Ecke, hinter der sich Tups Stall befand, und blieb stehen.
Wilhelm lehnte über der Stalltür und starrte das Fohlen an. Tup erwiderte seinen Blick. Das Hengstfohlen ließ die
Ohren merkwürdig herunterhängen und wimmerte ein bisschen. Doch es war nicht zurückgewichen. Es witterte zwar mit geweiteten Nüstern, stand jedoch in der Mitte der Box und wirkte vollkommen durcheinander.
Philippa rührte sich nicht von der Stelle. Sie war ebenso verwirrt wie das Fohlen.
»Hoheit!«
Herbert eilte aus der entgegengesetzten Richtung auf die Stallbox zu. Wilhelm fuhr von dem Gatter zurück, als hätte er sich verbrannt. Philippa trat lautlos einen Schritt vor, dann noch einen. Bislang hatte Wilhelm sie noch nicht bemerkt.
Er kehrte ihr den Rücken zu, als er den Stallburschen begrüßte. »Herbert.« Er klang vollkommen gelassen, als wäre
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