Schule der Lüfte wolkenreiter1
Stirn. Wann hatte Wilhelm in seinem Vokabular »mein erlauchter Vater« durch das Pronomen »wir« ersetzt?
Der arme Eduard wurde bleich bei dieser Drohung, weigerte sich aber tapfer, nachzugeben. »Prinz Wilhelm«, fuhr er etwas ruhiger fort. »Bitte denken Sie nach. Wir hatten eine furchtbare Woche an der Akademie …«
»Ja. Wir haben davon gehört.« Wilhelm fuhr so schnell zu Philippa herum, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurückwich und sich den Ellbogen an der Wand von Tups Stall stieß. Die halb gesenkten Lider des Prinzen erinnerten sie an etwas, aber sie konnte das Bild nicht genau zuordnen.
Trotzdem ließ sie sich von Wilhelm nicht einschüchtern. Dafür kannten sie sich viel zu lange. Außerdem war sie ihm aufgrund ihrer Herkunft und ihres Berufs nahezu ebenbürtig. Sie hob den Kopf und sah ihn verächtlich an. »Ich kann Ihnen versichern, dass es nicht hier geschehen ist, Wilhelm.« Sie ließ seinen Titel absichtlich weg. »Die Mädchen fahren in den Ferien nach Hause zu ihren Familien und bekommen auch zu Beerdigungen und Hochzeiten frei. Das wissen Sie, und Fürst Friedrich ist das ebenfalls bekannt.« Sie wandte sich von ihm ab und beugte sich über die niedrige Mauer, um das schwarze Fohlen zu betrachten.
Trotz des Unbehagens, das ihr Wilhelms Verhalten und seine Drohung Eduard gegenüber bereiteten, fand sie es ebenfalls richtig, die weitere Entwicklung des Fohlens abzuwarten, bevor man es kastrierte. Sie verstand dennoch Eduards Bedenken, und aus ihrer Erfahrung als Lehrerin wollte sie nicht riskieren, dass eine ihrer Schülerinnen mit einem nicht beschnittenen Hengst arbeiten musste. Tup war jedoch abgesehen von seiner Gestalt und Farbe, die
nicht den Vorgaben der Blutlinien entsprach, ein liebenswertes Tier. Sein kurzer Rücken und die flache Kruppe verliehen seinem Hinterteil eine anmutige Linie. Sein Hals war zwar ebenfalls ein wenig kurz, bog sich aber über einer sehr muskulösen Brust. Seine Flügel waren schmal, aber dafür sehr lang. Sie freute sich schon darauf, ihn fliegen zu sehen.
»Eduard«, wandte sie sich unvermittelt an den Zuchtmeister, während sie weiterhin das Fohlen beobachtete. »Wie lange kann man eine sichere Kastration des Fohlens längstens hinauszögern?«
»Kämpfer werden immer im Alter von acht Monaten kastriert«, erklärte Eduard. Sie registrierte die Anspannung in seiner Stimme und empfand einen leichten Anflug von Mitgefühl für ihn. Selbst wenn er sie häufig in ihrer Routine störte, machte er schließlich nur seine Arbeit.
»Dieser kleine Schwarze ist ein Winterfohlen. Er wird nächste Woche acht Monate alt«, überlegte sie laut.
»Er ist kein Kämpferfohlen«, sagte Wilhelm.
»Tiefer liegende Hoden!«, schnappte Eduard. »Das ist eine Eigenschaft der Kämpfer.«
»Welche anderen Charakteristika sehen Sie noch an ihm, Eduard?«, erkundigte sich Philippa.
»Ich habe ihn genau beobachtet. Ich würde vermuten, die Mutter war ein Bote, und aufgrund seines kurzen Rückens und seines Schweifs würde ich sagen, dass der Vater ein Nobler war. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass eine Boten-Stute von einem Noblen-Hengst gedeckt worden sein soll, aber es sieht zumindest ganz so aus«, erwiderte der Zuchtmeister.
Wilhelm fuhr sich mit seinem langen Zeigefinger über das makellos glatte Kinn. »Das alles spricht dafür, das Kastrieren des Fohlens zu verschieben, Krisp.«
»Da bin ich entschieden anderer Meinung, Hoheit«, erklärte Eduard halsstarrig. »Seine Mutter war eine flügellose Stute, und das ist genau eine der Veranlagungen, die wir aus den Linien herauszüchten wollen.«
»Und doch hat sie ein geflügeltes Fohlen zur Welt gebracht. Wollen wir nicht genau davon mehr haben?«
Eduards Blick verfinsterte sich, doch er schwieg. Kurz darauf verabschiedete sich Wilhelm und befahl Herbert, ihm sein Pferd zu holen. Philippa und Eduard starrten ihm hinterher.
»Es ist schlecht für Oc, dass der Fürst so krank ist«, murrte Eduard.
»Allerdings«, pflichtete ihm Philippa bei.
»Eine missratene Generation kann die Arbeit von vielen Jahren zerstören.«
Philippa nickte Eduard schweigend zu und verließ die Stallungen. Es war besser und weit sicherer, den Zuchtmeister nicht zu fragen, welche Generation genau er eigentlich meinte. Die Macht der Fürstenfamilie war groß, und wenn Friedrich starb, mussten sie sich alle Wilhelm gegenüber verantworten. Philippa gelang es beim besten Willen nicht, sich davon zu überzeugen, dass Wilhelms Motive
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