Schule versagt
Eindrücke und Erfahrungen, die ich nach elf Jahren deutscher Schule machen durfte. Durchaus kritisch ist mein Buch ›Mein Jahr in den USA‹, in dem ich ausführlich über meine positiven und negativen Erlebnisse in den Staaten berichte. In Amerika ist vieles anders und einiges besser, anderes schlechter. Das Schulsystem vermag dort nicht alles zu leisten, was hierzulande geleistet wird, betrachtet man lediglich die Grundlagen und Lerninhalte, zumindest die offiziell vorgegebenen. Doch Papier ist geduldig, Vorstellung und Realität klaffen, das hatte ich ausgiebig erfahren, auseinander. Manche Vorurteile gegenüber dem amerikanischen Schulsystem sind ebenso unberechtigt wie manchegegenüber dem deutschen: Drüben ist man faul, ungebildet und schläft im Unterricht, die Anforderungen sind gering. Hier ist man strebsam, fleißig und wissbegierig.
Als ich damals im Flugzeug nach Detroit saß, wusste ich nicht, was auf mich zukommen würde. Auf jeden Fall war ich froh, endlich aus der deutschen Schule rausgekommen zu sein. Was Besseres als das dort Erlebte würde ich überall finden. Ich wurde herzlich von meiner neuen Familie empfangen und – zu meiner Überraschung nach den Erfahrungen in Deutschland – ebenso herzlich an meiner neuen Schule aufgenommen. Kettering High war eine verhältnismäßig kleine Schule, wie man sie in Kleinstädten Amerikas häufig findet. Mitschüler beklagten sich über die spärliche Ausstattung, doch ich fand eine eigene Bücherei, zwei Sporthallen mit poliertem Basketballparkett, eine Cafeteria, drei eigene Sportplätze, eine Theaterbühne, Video-Produktionsräume, mindestens einen internetfähigen Computer in jedem Klassenraum und Parkplätze für ca. 500 Autos vor. Das erinnert eher an eine deutsche Universität als an die spärliche Ausstattung eines Gymnasiums. Gut ausgestattete Schulen sind der Mindeststandard für ein Land, welches zur Welt-Bildungselite gehören will. Dabei ist Geld sicherlich hilfreich. Dreckige Böden, renovierungs- oder gar sanierungsbedürftige Aulen, Klassenzimmer und Sporthallen und zehn Jahre alte abgegriffene Schulbücher gehören an Gymnasien hierzulande zum Schulalltag. Es fehlt unbestreitbar an Geld. Doch auch wenn man in Deutschland jede Schule mit noch so viel Geld vollpumpt, die sanierungsbedürftigen Bauten verschönert, die Klassenräume runderneuert, Computer anschafft und wirkliche Schulbibliotheken einrichtet, so löst man ein Grundproblem nicht. Der entscheidende Unterschied, der dafür sorgte, dass ich von einem mittelmäßigen Schüler zur Klassenspitze aufstieg, war ein anderer. Es war nicht vorrangig das Geld, das den entscheidenden Unterschied ausmachte.
Ich erlebte etwas im Vergleich zu meinem bisherigen Schülerleben völlig Neuartiges. Ich durfte und konnte mich tatsächlich auf die Lerninhalte konzentrieren. Keine hinterhältigen persönlichen Attacken der Lehrer, keine Schüler, die sich selber das Leben zur Hölle machten, eine objektivere Notenvergabe und eine ganze Vielzahl frei wählbarer Fächer waren nur einige der Neuerungenin meinem Leben. Ich fand mich in einer Kultur wieder, welche die sogenannten Schnellläufer mit Pokalen ehrt – nicht nur im Sport –, in der sich Schüler gegenseitig anfeuern, mehr Leistung zu bringen. Ich fand Anerkennung, die sich äquivalent zur geleisteten Arbeit verhielt und eine Haltung, die nichtleistungsbereite Schüler nicht willkürlich abstrafte oder sie bewusst ins Aus drängte. Ich fühlte mich, als sei eine tonnenschwere Last von meinen Schultern genommen, als seien die Ketten von meinen Füßen entfernt, die mich zurückgehalten hatten. Aus dem deutschen Leitsatz »Na, ob das mal was wird …?« wurde hier ein »You can!« – aus »Nein« wurde »Ja«. Wurde ich für meinen Wunsch, beim Film zu arbeiten, in Deutschland belächelt, hieß es hier: »Wir haben ein Fach dafür!« – an der Highschool. Mit einem Mal war ich von jetzt auf gleich meinem Traumjob so nah wie nie zuvor. Ich hätte auch Psychologie wählen oder mit dem Chor um die State Championship wettsingen können. Orchester vielleicht oder doch lieber kreatives Schreiben? Nein, in der Filmklasse waren noch Plätze frei, also schrieb ich mich dort sofort ein und stieg nach kurzer Zeit zum Klassenbesten auf. Meine damalige Lehrerin erkannte, dass es mir ernst war mit dem Fach und meiner zukünftigen Berufswahl und so geschah etwas, das ich sicherlich bis zum Ende meiner Tage nie vergessen werde.
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