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Schule versagt

Schule versagt

Titel: Schule versagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Faltin , Daniel Faltin
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Befindlichkeit des Lehrers beruht und somit nicht einmal einem logischen Muster folgt. Warum ein Lehrer gerade diesen und keinen anderen Schüler »auf dem Kieker« hat und ihm damit die Note verhagelt, vermag nur der Lehrer selber zu beantworten. Die charakterliche Voraussetzung, den Beruf des Lehrers überhaupt antreten zu dürfen, war während meiner deutschen Schulkarriere im besten Fall bei einer Handvoll Lehrer vorhanden. Diese fehlende charakterliche Voraussetzung, gepaart mit dem gelebten Kreuzrittertum vieler Lehrer, dem heiligen Ich-werde-dich-schon-zum-Licht-des-(auswendig)-Lernens-bekehren-oder-dich-zerbrechen-Klassenzimmerfeldzug, ergeben eine höchst toxische Mischung. Schon generierte sich eine Abwärtsspirale, ein negativer Sog, der destruktive Auswüchse bildete. In den USA fand ich motivierte, freundliche Menschen, die aus der oft langjährigen beruflichen Realität eines Journalisten, einer Filmemacherin, eines Sportcoaches, einer Literaturwissenschaftlerin oder eines Psychologen heraus in der Schule eine Anstellung auf Zeit gefunden hatten. Sie waren die Freunde der Schüler, und einige waren wirkliche Mentoren.
     
    Ich kehrte aus den Staaten zurück. Auf den oft beschriebenen und angekündigten Kulturschock, den man haben sollte, wenn man in die USA kommt, war ich vorbereitet und fand ihn nicht. Dafür warder Schock umso größer, als ich wieder hier war. Das wurde mir bewusst, als ich mich bei meiner neuen Schule anmelden wollte. An meine bisherige Schule zurückzugehen war nach den gemachten Erfahrungen abschreckend und unmöglich. Also meldete ich mich bei einem als fortschrittlich geltenden Berliner Gymnasium an, um die Kursphase der gymnasialen Oberstufe zu absolvieren und nach dem amerikanischen Highschoolabschluss das Abitur zu machen.
    Hieß es in den Staaten: »Du hast ein Problem, wie können wir dir helfen?«, hieß es hier: »Du hast ein Problem, halt dich bloß von mir fern!« Ich erinnerte mich an die Zeit in der »Video Production Class«. Wir hatten die Aufgabe, ein Musikvideo zu drehen, und ich wollte gern meine Darstellerin vor einer großen U S-Flagge tanzen lassen. Die einzige Flagge, die groß genug war, hing unter der Decke der Sporthalle, und um die zu nutzen, brauchte ich die Genehmigung der Direktorin. Also füllte ich einen kleinen Zettel aus und bat so um ein Gespräch. Einen Tag später kam die Direktorin in meine Klasse, zu mir, mit den Worten »How can I help you?«. Moment   – wie
sie mir
helfen könne? Sie erklärte, dass es ein sehr großer Aufwand sei, die Flagge von der Decke zu lösen und anschließend wieder zu befestigen. Ich verstand und wollte wieder gehen, als sie mich zurückhielt und sagte, dass sie trotzdem eine Lösung für mein Problem finden wollte. Kurze Zeit später kam auch ihr Stellvertreter, um zu helfen. Wir redeten und suchten über eine halbe Stunde gemeinsam nach einer Lösung, bis wir zu der Erkenntnis kamen, dass es keine Fahne gab, die groß genug wäre. Diese Geschichte ist nur ein kleines Beispiel und das Problem war sicherlich nicht besonders bedeutend. Aber allein die Tatsache, dass die Direktorin zu mir kam und versuchte, mir wirklich zu helfen, anstatt mich wegzuschicken, hat mich ungeheuer beeindruckt. Auch wenn sie zweifellos Wichtigeres zu tun hatte, als sich um eine Fahne für einen Videodreh zu kümmern, hat sie sich dennoch die Zeit dafür genommen. Wir hatten uns vorher noch nie gesehen, sie wusste nichts über meine Herkunft oder Eltern, ob ich arm oder reich war, allein die Tatsache, dass ich Schüler ihrer Schule war, hatte sie zu dem Versuch veranlasst, gemeinsam mit mir mein Problem zu lösen.
     
    Im Jahr 1999, etwa drei Monate nach meiner Einschulung an der amerikanischen Highschool, hatten alle neuen Schüler eine Einladung bekommen, sich in der Cafeteria einzufinden   – die Lehrkräfte würden sich gern vorstellen. Wir waren etwa 30   Schüler und vor uns standen die Direktorin, ihr Assistent und die schuleigenen Psychologen, dahinter war ein riesiges Buffet aufgebaut mit Doughnuts, Kaffee und Orangensaft. Man erklärte uns, dass man sich freue, uns als neue Schüler begrüßen zu dürfen, und man sei darum bemüht, uns den Aufenthalt an der Schule so angenehm wie möglich zu machen. Danach wurde das Buffet gestürmt und Smalltalk gehalten.
    In meiner neuen deutschen Schule wurde ich weniger warm empfangen. Tatsächlich wurde ich überhaupt nicht empfangen. Ich betrat das Büro des pädagogischen

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