Schule versagt
Entwicklung eines unbewussten inneren Widerstandes.
Wenn Sie sich an Ihre eigene Schulzeit erinnern, kommt Ihnen vielleicht ein Lehrer oder eine Lehrerin in den Sinn (oder auch zwei), an die Sie sich wegen ihrer Persönlichkeit, ihres Charakters, ihrer Begeisterung für das eigene Fach, ihrer Art des Umgangs, ihrer Kompetenz besser und intensiver erinnern als an andere Kollegen. Von Freunden und Bekannten habe ich oft und oft solche Versionen von erfreulichen und manchmal sogar prägenden Schulerinnerungen gehört. Und alle stellten die Lehrerpersönlichkeit, ihre emotionale Kraft und lebendige Wirkung ins Zentrum ihrer Schilderungen. Das Interesse am jeweiligen Unterrichtsfach oder besondere Gegebenheiten an der jeweiligen Schule spielten keine oder eine untergeordnete Rolle.
Meinem Sohn fielen dazu nur seine amerikanischen Lehrer ein – die gar keine spezifische Lehrerausbildung in unserem Sinne kennen. Er hat in einem Buch sehr ehrlich seine Erlebnisse in den USA geschildert. 5 Auch er verweist auf die positive Haltung der Lehrer den Schülern gegenüber, die angenehme Atmosphäre, die Unterschiedlichkeit der Lehrerpersönlichkeiten, die alle bereits Berufserfahrung außerhalb der Schule hatten. Ich erwähne das in diesem Zusammenhang, weil an der amerikanischen Schule selbstverständlich war, was ich hier so oft vergeblich suchte und nur sporadisch fand: die Orientierung am und auf den Menschen und die selbstverständliche Präsenz von zum Teil originellen, immer aber originären Lehrerpersönlichkeiten. Jeder von ihnen war anders, natürlich, und jeder unterrichtete auf seine ganz individuelle Art. Die Prämisse war, ein Freund/eine Freundin der Schüler zu sein, sie zu begleiten und zu fördern.
Unsere Prämisse im Referendariat war die Festlegung auf bestimmte pädagogische Theorien. Was fehlte, war die »Durchdringung von Lehre mit Leben und von Leben mit Lehre«. 6 Neueste Ergebnisse der Hirn- und Lernforschung zeigen, dass hier einer der Schlüssel zum Erfolg liegt. 7
Das Schaubild macht deutlich, wie kompliziert ein Lernvorgang ist. Und das Verzwickteste an der ganzen Sache ist eben, dass es sich dabei immer um eine Verknüpfung von kognitiven und emotionalen Elementen handelt.
Zunächst fällt auf, dass man besser lernt, je mehr »Eingangskanäle« man benutzt. Anders gesagt: Wenn man sieht und hört und riecht und begreift und schmeckt, lernt man schneller, ist der Lernvorgang effektiver, nachhaltiger und erfolgreicher als wenn man z. B. nur hört. Insofern rechtfertigen sich Optimierungsversuche diese Option betreffend von selbst. Ein anschaulicher Schülervortrag mit Power-Point-Präsentation, d. h. durch (bewegte) Bilder, Musik und/oder Kommentare eingängiger gemacht, prägt sich erfolgreich ein. Daneben wird der Umgang mit neuen Medien für die Schüler selbstverständlich. Viele Kollegen, und nicht nursie, setzen allerdings gern den Gebrauch neuer Medien mit einem vorprogrammierten Lernerfolg gleich. In Verlagen und Publikationen wird allenthalben damit geworben. Aber man kann nicht oben neue Medien und neue Methoden in den Automaten stecken und unten kommt der perfekt gebildete Schüler heraus.
Lernvorgänge sind weitaus komplexer. Ein Schlüsselbegriff ist die Konzentration (s. Grafik »Lernvorgang«). Und gerade die ist nach meiner Erfahrung in der heutigen Schülergeneration ein sehr großes Problem. Niemand kann lernen, wenn er sich nicht konzentriert, auch nicht mit neuen Medien. Motivation und Interesse sind weitere Schlüsselbegriffe. Jemand, der nicht lernen will, wird nicht lernen. Zwang ist keine Motivation. Wer keine Motivation und kein Interesse hat, wird sich nicht gern selbst aktiv etwas erarbeiten. Aber nur wer selbstständig arbeitet und handelt, lernt nachhaltig. Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur, das Gelernte zu internalisieren und anzuwenden, sondern auch, die verschiedenen Lerninhalte miteinander zu verknüpfen und kausale Zusammenhänge zu begreifen.
Am interessantesten erscheinen mir jedoch folgende Komponenten: die emotionale Beteiligung, die zwischenmenschliche Interaktion und die unbewusste Weiterverarbeitung des Gelernten. An jedem Lernvorgang, und die Betonung liegt auf »jedem«, sind Emotionen beteiligt. Emotionen, die das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler betreffen, das der Schüler untereinander, die Abneigung oder die Sympathie des Schülers für das betreffende Fach, die Gruppendynamik in der Klasse und ganz persönliche
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