Schule versagt
zusammenzusetzen und dem Ganzen den Feinschliff zu geben. Ich sah in die Runde der Kollegen und fragte mich wieder, was sie zum Mitmachen bewogen, ihnen die hohe Motivation eingegeben haben könnte. Da war Bernd, der in wenigen Jahren pensioniert werden würde. In Gesamtkonferenzen hatte er mit Äußerungen wie: »Wir produzieren hier für den Kapitalismus … Das ist unglaublich!« auf sich aufmerksam gemacht. Der Schulleiter wimmelte das freundlich, aber bestimmt ab, indem er »Sie haben ja recht, Herr Dr. F.!« sagte und zum nächsten Thema überging. Bernd war körperlich behindert; er genoss einen gewissen Freiraum in diesen Dingen. Bernd schwieg dann, froh, sein Statement losgeworden zu sein, und dabei blieb es. Nun saß er vergnügt in der Runde, kindliche Freude im Gesicht. Ich bezweifelte, ob er die Strecke wirklich durchhalten würde. Er war nicht sehr hart im Nehmen, seine Behinderung schützte ihnauch davor, überfordert zu werden. Jetzt war er sichtlich stolz auf sich.
Herb hatte drei Teenager zu Hause. Ich hatte noch die Grundsätze des Diskussionspapiers vor Augen, das er in der ersten Sitzung verteilt hatte. Vielleicht waren seine Kinder eine Motivation dafür gewesen, bei einem Projekt dabei zu sein, das Eigenverantwortung an die Stelle von Kontrolle setzte. Aber schaute man auf das Papier, hatte man den Eindruck, als wisse er nicht, wie das gelingen sollte.
Bei Hans hatte ich das Gefühl, er suche einen Ausweg vor der Aussicht, noch zehn Jahre Lehrer sein zu müssen. Er war Angestellter, hätte bei einer Frühverrentung nicht einmal mit Abschlägen in Rente gehen können wie ein Beamter in Pension. Angestellte sind entweder berufs- oder erwerbsunfähig, wenn sie früher gehen, und in beiden Fällen gibt es eine lächerlich geringe Berufsunfähigkeits- oder Erwerbsunfähigkeitsrente, von der man nicht leben kann. Also redete Hans sich ein, gern Lehrer zu sein, und machte PS E-Fortbildungen . In den Jahren zuvor hatte er noch politische Ämter gehabt, war aber, nach eigenen Worten, einer Intrige zum Opfer gefallen. Man habe sich heimlich abgesprochen und ihn nach vielen Jahren erfolgreichen Einsatzes für die Schule aus seinem Amt abgewählt. So wurde er unvermittelt auf seine Lehrerrolle zurückgeworfen. »Jetzt freue ich mich auf die nächsten zehn Jahre!«, sagte er zum Abschied aufgeräumt zu mir, aber ich spürte die Verzweiflung hinter seiner aufgesetzten Heiterkeit.
Ilses Tochter absolvierte ein Lehramtsstudium. Ich hatte den Eindruck, dass sie ihre Mutter auf die eine oder andere Idee gebracht hatte. Sie profitierte von der Ausbildung, so wie mein Sohn und ich gegenseitig voneinander profitiert hatten, als er noch Schüler und ich im Referendariat gewesen war.
Carlo war ebenfalls Vater. Man merkte sehr deutlich, wie viel ihm an seinen Kindern lag. Bei ihm hatte ich den Eindruck, dass seine Vater-Kind-Geschichte eine Erfolgsgeschichte war. So gesehen war EVA die logische Konsequenz aus dieser Geschichte in der Schule. Carlos Umgang mit den Schülern war ruhig, freundlich, sachlich und respektvoll. Er schien mir ein so natürlicher EV A-Katalysator zu sein, da war nichts aufgesetzt, angelernt oder garzu kompensieren. Ich mochte ihn, weil EVA für ihn so selbstverständlich war – auch deswegen. Und damals war die Gefahr, dass das Projekt (auch von Carlo) beendet werden könnte, so weit weg, dass ich keinen Gedanken daran verschwendete.
Sven war ein alter 68er, sehr gutmütig, ruhig und politisch aktiv. Er warf der Schulleitung Top-Down-Management vor. Sven war derjenige, der zu seinen Schülern eine enge, beinahe vertrauliche Beziehung pflegte und sie sehr genau kannte. Es war schön zu erleben, wie sie sich nach bestandener Prüfung bei ihm für seine Unterstützung bedankten. Diese Unterstützung ging oft sehr weit. Sven engagierte sich wirklich sehr, man merkte, wie viel ihm an jedem Einzelnen lag. Er opferte besonders viel Zeit und Arbeit für die Förderung und Kompensation der Schwächeren in den Klassen. In der Schule war er als Fachlehrer 8 eingestellt. Ich muss nicht betonen, dass Sven in seiner gesamten Einstellung sehr sozial war.
Raphaels Gesicht zeigte mehr Selbstzufriedenheit als Zufriedenheit. Er war Mr. Wichtig – so nannte ich ihn schon nach kurzer Zeit in der Schule heimlich – und war mit sich zufrieden, wenn er wichtig war. Oder sich so fühlte; das subjektive Element war das Entscheidende. Er war der Einzige, der immer bereit war, eine Klasse zu
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