Schule versagt
unruhigen Hin und Her des Kopfes, etwa so wie ein Vogel, der nach Feinden Ausschau hält. Eine ruhige Stimmlage ohne Aufgeregtheiten, ohne heimliche Nervosität oder gar Aggression ist mindestens von so großer Bedeutung wie eine deutliche Aussprache und die Klarheit der Formulierung. Sachlichkeit ist selbstverständlich. Sie sollte es zumindest sein. Aber viele Lehrer verstecken Ironie und andere verletzende Implikationen in ihren Ausführungen. Stimme, Intonation und die darin sich widerspiegelnde Disposition sind wesentliche Teile des heimlichen Lehrplans. Wer glaubt, man könne sie verstecken, die heimlichen Signale, irrt. Schüler sind da sehr empfänglich. Und weil sie ihr Empfinden oft nicht ausdrücken können, wird als Überempfindlichkeit abgetan, was das intuitive Erfühlen von Unsicherheit, Nervosität, Aggression, Langeweile, Ignoranz oder Ressentiments ist.
Ich blickte in gespannte, auch in angespannte Gesichter. So manch einer in der Runde mochte sich selbst erkennen. Die Konfrontation erzeugte einen Aha-Effekt. Und die Frage: »Wie kommen wir da raus?« stand wie selbstverständlich im Raum. Schließlich wollten einige einen Arbeitsplatz nach Abschluss derAusbildung haben oder sich selbstständig machen; die meisten jedoch, die zu uns kamen, wollten studieren und hatten die Schule aufgrund der Doppelqualifikation, die man hier erwerben konnte, gewählt. Ich spürte die Betroffenheit und nahm die neuen Schüler mit in die erste Etage. Dort erwartete sie das umfassende Training in den fehlenden Schlüsselbereichen Methoden, Kommunikation und Team. Aus der Kritik wurde ersichtlich, dass das Training in diesen Schlüsselbereichen unabdingbar notwendig war, um die Mängel zu überwinden. Aber wie? Im zweiten Stockwerk gab es die Antwort. Hier waren nur einige Beispiele für das Trainieren eigenverantwortlichen Arbeitens in den drei Bereichen zu sehen. In der täglichen Praxis gibt es sehr viel mehr. Aber die Schüler sollten einen Anfangseindruck bekommen und nicht mit dem Gefühl der Überforderung nach Hause gehen. Die Trainingseinheiten im ersten Stock bezogen sich exakt auf die drei Schlüsselbereiche; in der Unterrichtspraxis sind sie selbstverständlich nicht so präzise zu trennen. Wenn über drei Jahre hinweg kontinuierlich Schlüsselqualifikationen trainiert worden sind: Wo kommt man an?
»Der Unterschied ist«, sagte ich, »dass Sie sich Wissen – und zwar nicht nur in den ›Grundsätzlichen Sozialtechniken‹ – aktiv angeeignet haben, eigenverantwortlich, und deshalb habe ich es ›Aktives Wissen‹ genannt.« Alle ohne Ausnahme hatten bis jetzt konzentriert zugehört. Ich fuhr fort: »Gewusst wie! Das werden Sie am Ende des 6. Semesters hoffentlich auch sagen können. Sie werden wissen, wie man ein Problem angeht und löst. Und das nicht nur allein, sondern auch und besonders in Kommunikation und Teamarbeit mit ihren Kollegen. Ideal ist dieser Zustand dann, wenn Sie dabei Synergie erzeugen. Wenn Ihr gemeinsames Ergebnis gegenüber jedem Einzelergebnis nicht nur optimiert ist, sondern potenziert. Dann ist ein Hirn und ein zweites und drittes nicht mehr drei, auch nicht sechs, sondern hundert oder mehr …« Ich redete mich in Begeisterung hinein. Es war Zeit, zum Schluss zu kommen. Das ist verdammt idealtypisch, dachte ich. Wie sollen wir das in der heutigen Schule schaffen? Aber ich konnte nicht mehr zurück – und wollte auch nicht. Ich sah das Interesse in den Gesichtern um mich herum, das Erstaunen über diese ganz neue Art von Schule, die die Neuankömmlinge so nicht kannten und auch nicht erwartet hatten. Ich durfte sie nicht enttäuschen.
Quelle: Inge Faltin, nach Heinz Klippert
Zum Schluss warfen wir einen Blick auf das Spitzdach, unser Ziel, wo wir ankommen wollten. Die Schlüsselqualifikationen Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Flexibilität, Problemlösungskompetenz, Zuverlässigkeit, Ausdauer, Belastbarkeit, Kreativität, Offenheit, Integrationsfähigkeit, Neugier – das warenSkills, die nicht nur berufsbezogen waren, nicht nur Arbeitgeberansprüchen genügten 10 . Es sind Soft Skills, Persönlichkeitsmerkmale, die man im Umgang mit anderen Menschen und mit sich selbst braucht, um moralisch integer, produktiv und sinnvoll zu leben. Ein hochgestecktes Ziel. Mit bloßen Unterrichts- und Rollenveränderungen würden wir es nicht erreichen. Wir würden uns selbst verändern und in diesen Prozess einbeziehen müssen, wenn wir erfolgreich sein
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