Schumacher, Jens - Deep
wie aufgeregt sein Vater vor zwei Wochen gewesen war, als er aus der Mail eines Kollegen von der aufsehenerregenden Entdeckung erfahren hatte. Noch aufgeregter war er allerdings geworden, als er gehört hatte, was man hinter dem geheimnisvollen Durchgang gefunden hatte.
»Also befinden sich die mysteriösen Inschriften da drin?« Ohne es zu wollen, hatte Henry geflüstert. Im Innern einer uralten heiligen Stätte, in Gegenwart dreier riesenhafter Buddhas, schienen laute Geräusche irgendwie unangebracht.
Pelham nickte und wies auffordernd auf eine Trittleiter vor der Öffnung. »Sei vorsichtig. Auf der anderen Seite geht es steil nach unten.«
Henry erklomm den Rand der Maueröffnung. Dahinter lehnte eine Klappleiter aus Aluminium, die rund vier Meter in die Tiefe führte. Henry stieg hinab und wartete, bis Pelham neben ihm ankam.
Sie standen in einem niedrigen Gang, gerade breit genug für einen Erwachsenen von normaler Statur. Im Licht mehrerer Arbeitsleuchten, die in unregelmäßigen Abständen von der Decke baumelten, waren grobe, von schwärzlichen Flechten überwucherte Steinquader zu erkennen – und mehrere kleine Tretroller aus Aluminium, die achtlos an der Wand neben der Leiter lehnten.
»Die Dinger kennst du sicher. Sie sind echt praktisch.« Grinsend hielt der Archäologe Henry einen Roller hin. »Immerhin müssen wir jetzt die ganze Strecke, die wir eben hergefahren sind, wieder zurück.«
»Zurück? Die ganze Strecke? Aber wieso …«
»Das Gewölbe, in dem dieser Korridor endet, befindet sich unterhalb des Borobudur.« Der Archäologe nahm sich ebenfalls einen Roller. »Dort befinden sich die Inschriften. Und dein Dad!« Er nickte Henry aufmunternd zu. »Der Tunnel führt immer geradeaus. Er ist recht schmal, aber einem guten Sportler wie dir sollte das keine Probleme bereiten. Vergiss nicht, unter den Lampen den Kopf einzuziehen. Dr. Weisman hat sich vor ein paar Tagen bei voller Fahrt den Schädel an einer davon angeschlagen. Seinem Gebrüll nach zu urteilen, muss es recht schmerzhaft gewesen sein.« Er grinste, dann rollte er los.
Zögernd stellte sich Henry auf den winzigen Roller. Auf den ersten Metern schrammte er noch gegen die Seitenwände des Tunnels, doch rasch bekam er den Bogen raus. Trotz des unebenen Bodens gewann er rasch an Geschwindigkeit und schloss zu Dr. Pelham auf, wobei er ohne Mühe den hängenden Lampen auswich.
Schon nach wenigen Hundert Metern hatte Henry jedes Zeitgefühl verloren. Die steinernen Wände wiesen keinerlei Verzierungen oder andere Merkmale auf, an denen man ablesen konnte, wie weit man schon gefahren war. Er versuchte, die Arbeitsleuchten zu zählen und die Strecke von einer zur nächsten zu schätzen, doch bei fünfundzwanzig gab er auf und konzentrierte sich nur noch auf das rhythmische Auf und Ab seines rechten Fußes.
Irgendwann wurde es vor ihnen heller. Schließlich öffnete sich der Korridor zu einem Raum von gewaltigen Ausmaßen.
Die Grundfläche der Halle war größer als ein Basketballfeld. Wie im Candi Mendut verjüngten sich die Wände auch hier nach oben, mit dem Unterschied, dass ihr Scheitelpunkt mindestens zwanzig Meter über dem Boden lag. Eine Armada starker Industriescheinwerfer badete den riesigen Raum in kaltes weißes Licht. Die meisten waren auf die Wände gerichtet, wo sich ordentliche Reihen eckiger, in den Stein gemeißelter Symbole vom Boden bis zur unerreichbaren Decke emporwanden.
Vor zwei der Wände waren mehrstöckige Gerüste mit Leitern und Laufplanken errichtet worden, die es ermöglichten, die höher gelegenen Inschriften zu untersuchen. Mehrere Personen befanden sich darauf. Wo sie standen, blitzte es in unregelmäßigen Abständen auf. Offenbar fotografierten sie die Schriftzeichen mit großen Digitalkameras Stück für Stück ab.
Weitere Arbeiter hielten sich am Boden der Halle auf, wo diverse lange Klapptische standen, beladen mit unterschiedlichstem wissenschaftlichem Equipment. Henry sah Mikroskope, elektrische Analyseapparate, Laptops, stapelweise Kunststoffkisten für Gesteinsproben sowie weitere Geräte, deren Verwendungszweck er nicht kannte. Am hinteren Ende des Raumes gab es eine Ruhezone mit Feldbetten. Das Brummen eines großen Dieselgenerators lag in der Luft. Von irgendwo ertönte Musik.
Während Henry sich noch umsah, den albernen Tretroller in der Hand, trat von der Seite plötzlich eine hochgewachsene Gestalt an seine Seite.
»Henry, mein Junge. Schön, dass du da bist! Hattest du eine
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