Schumacher, Jens - Deep
angenehme Reise?«
»Dad!« Henry ließ den Roller fallen und schloss seinen Vater in die Arme. Donald Wilkins erwiderte die Umarmung lachend.
Gerade mal eine Woche war es her, dass sie sich in Toronto voneinander verabschiedet hatten, dennoch war Henry erleichtert, seinen Vater wohlauf zu sehen. Es war Dr. Wilkins’ erste Forschungsreise seit geraumer Zeit, die erste nach dem langen Krankenhausaufenthalt und der mehrmonatigen Erholungsphase, die seine letzte Expedition nach sich gezogen hatten.
Henry löste sich von seinem Vater, trat zurück und musterte ihn prüfend.
Obwohl die Scheinwerfer in der fensterlosen Halle für stickige Schwüle sorgten, trug Donald Wilkins lange Cargohosen. Die Ärmel seines Kakihemds waren nicht hochgekrempelt, und um seinen Hals lag ein locker geschlungenes Tuch aus dünnem, blickdichtem Seidenstoff. Er hatte sich einen Vollbart stehen lassen, das blonde Haar trug er halblang, sodass es ihm über die Stirn in die Augen fiel.
Ein Außenstehender hätte Dr. Wilkins’ Aussehen bestenfalls als ein wenig verwegen empfunden. Henry dagegen kannte den Grund für all die scheinbar beiläufigen Verhüllungsmaßnahmen: Kleidung und Haartracht sollten die zahllosen Narben verbergen, die sein Vater von ihrem letzten Abenteuer zurückbehalten hatte.
Knapp ein halbes Jahr zuvor hatte Donald Wilkins im ewigen Eis der Antarktis eine aufsehenerregende Entdeckung gemacht. In einem Gebirge, das auf keiner Karte verzeichnet war, hatte er die Überreste einer gewaltigen Ruinenstadt gefunden – einer Stadt, bedeutend älter als die frühesten Anzeichen menschlichen Lebens auf der Erde. Gemeinsam mit einigen Kollegen hatte er sich an die Untersuchung eines unterirdischen Tunnelsystems gemacht, das sich unter der uralten Metropole hinzog. Dabei infizierte er sich mit einem aggressiven Erreger, der bei Menschen und Tieren grauenvolle körperliche Veränderungen auslöste.
Wie sich später herausstellte, handelte es sich um ein Mutagen, das in grauer Vorzeit aus dem Weltall zur Erde gekommen war, geschickt von einer Rasse unvorstellbar fremdartiger Geschöpfe, die mit seiner Hilfe irdische Kreaturen zu Dienerwesen umfunktionieren wollten, um ihre Ankunft auf dem Planeten vorzubereiten. Aufgrund eines seltenen Gendefekts, unter dem Donald Wilkins von Geburt an litt, verlief die Umstrukturierung seiner Körperzellen zum Glück langsamer als bei vielen seiner Kollegen, die sich binnen weniger Tage in groteske, extrem aggressive Geschöpfe verwandelten, denen nichts Menschliches mehr eigen war.
Henry, der sich zusammen mit einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern auf die Suche nach dem verschollenen Forschungsteam gemacht hatte, spürte seinen Vater in den Tiefen des Stollenlabyrinths auf und brachte ihn in die Zivilisation zurück – buchstäblich in letzter Sekunde. Als Folge des schützenden Gendefekts ging es Donald Wilkins zwar den Umständen entsprechend gut, er musste sich in den folgenden Wochen allerdings einer Reihe chirurgischer Eingriffe unterziehen, um Körpergewebe entfernen zu lassen, das sich im Anfangsstadium der Mutation bereits gebildet hatte. Es hatte Monate gedauert, bis er danach allmählich wieder zu Kräften kam.
»Du wirkst blass, Dad«, stellte Henry mit gerunzelter Stirn fest.
»Das macht die Beleuchtung hier unten«, erwiderte sein Vater leichthin. »Im Licht dieser grässlichen Strahler sieht man dir das sonnige Wochenende, das wir vor meiner Abreise am Lake Erie verbracht haben, auch nicht an.«
»Eileen hielt es für keine gute Idee, dass du schon wieder auf Reisen gehst.«
»Das weiß ich, mein Junge. Und ich hätte es mindestens so sehr begrüßt wie sie, wenn sie mich hätte begleiten können. Wie du weißt, ist sie nicht nur extrem attraktiv, intelligent und humorvoll« – er zwinkerte Henry zu – »sondern auch eine kompetente Kollegin, auf deren Rat ich viel gebe. Leider konnte sie sich so kurzfristig nicht von ihren Verpflichtungen an der Universität frei machen.«
Eileen Cavanaugh, eine junge Historikerin von der Universität Toronto, hatte sich ebenfalls an der Suchexpedition in die Antarktis beteiligt. Nach ihrer Rückkehr in die Zivilisation war sie ins Haus der Wilkins’ gezogen und hatte sich aufopferungsvoll um Henrys Vater gekümmert. Dabei waren die beiden sich nähergekommen, was sie vor Henry zunächst geheim gehalten hatten. Der Tod von Henrys Mutter lag zwar mittlerweile fünf Jahre zurück, dennoch schien sein Vater ihm eine neue Frau noch
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