Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis
versprochenen Sold nicht zu zahlen, falls er sich weigerte. Dann ließ er einen heizbaren Stuhl vor dem Zelt aufbauen, der Mann bezog Posten, und Spyker brach mit dem Rest der Mannschaft auf.«
»Moment mal! Wieso sind Sie eigentlich nicht ebenfalls dort?«, wollte Golitzin in scharfem Ton wissen. »Schließlich stehen Sie doch auch auf Spykers Gehaltsliste?«
Der Nachrichtentechniker verschränkte die Arme vor der Brust. »Spyker wollte tatsächlich, dass ich ihn und seine Leute bei der Suche unterstütze. Er bedrängte mich, bot mir einen großzügigen Bonus an. Aber ich lehnte ab. Meine Abmachung mit ihm sah lediglich die Begleitung und Bespitzelung Ihrer Reisegruppe vor, und diese Leistung hatte ich erbracht. Vom Durchsuchen äonenalter Katakomben war nie die Rede.«
»Sie sind also nicht bloß ein Verräter, sondern auch ein Feigling.« Golitzin spuckte vor Grays Füßen auf den Boden.
»Ich bin nicht lebensmüde, das ist alles«, entgegnete der Funker kühl. »Warum sollte ich mich freiwillig an einen Ort begeben, von wo Spykers Leute allem Anschein nach eine scheußliche Krankheit mitgebracht haben … und wo möglicherweise noch ganz andere Gefahren lauern? Mein Deal mit Spyker ist beendet, das Honorar auf meinem Konto. Als klar denkenden Menschen interessiert mich jetzt nur noch eins: Ich will nach Hause, und zwar so schnell wie möglich – gesund und munter, wenn es sich einrichten lässt!«
»Vernünftige Einstellung«, fand Lincoln. »Sie haben da eben etwas von Geräuschen erwähnt …«
Gray schluckte hörbar. »Schon am ersten Abend, als die Soldaten aus den Stollen heimkehrten, berichteten mehrere, sie hätten das Gefühl gehabt, dort unten nicht allein gewesen zu sein. Einige sprachen von schleifenden Geräuschen, als schöbe sich ein schwerer Körper an den Wänden entlang. Aber sie bekamen nichts zu Gesicht. Am zweiten Tag dasselbe: Fast alle Männer fühlten sich beobachtet, einer behauptete, ›schlurfende Schritte‹ gehört zu haben. Aber nach wie vor keinerlei Sichtkontakt.«
»Die Alten Wesen«, murmelte Lincoln ehrfürchtig. »Erwacht aus einem Jahrmillionen währenden Tiefkühlschlaf.«
»Vielleicht aber auch Überlebende aus Dads Team«, warf Henry ein.
»Warum erzählen Sie uns all das, Mr Gray?«, wollte Eileen wissen. »Wie sind Sie überhaupt an dem Wachmann vorbei hier hereingekommen?«
Gray sah sie mit großen Augen an. »So wie die Dinge liegen, sind Sie die Einzigen, mit deren Hilfe ich von hier wegkommen kann. Und was den Wachmann angeht … er ist nicht mehr da. Wie es aussieht, schon vor Stunden abgehauen.«
»Blin! Und da sitzen wir die ganze Zeit über tatenlos hier herum? In einem unbewachten Zelt?« Dr. Golitzin schien hin- und hergerissen zwischen Entgeisterung und Euphorie. »Dann nichts wie raus hier, aber sofort!«
Rasch hatten alle ihre Polarkleidung übergestreift und folgten Gray ins Freie. Als Henry das Zelt verließ, fiel sein Blick auf den leeren Klappstuhl neben dem Eingang. Wohin mochte der Soldat verschwunden sein? War er freiwillig gegangen wie seine Kollegen oder war ihm etwas zugestoßen? Mit einem unguten Gefühl hielt er ringsum Ausschau nach Fußabdrücken in Form eines fünfzackigen Sterns. Aber auf dem festgetrampelten Schnee war nichts zu erkennen.
Ungehindert erreichten sie die Fahrzeuge. Sowohl SnoCat als auch Hägglund standen noch genauso da, wie sie sie verlassen hatten. Dr. Golitzin unterzog beide einer raschen Untersuchung und bestätigte dann, dass sie nach wie vor einsatzbereit waren.
Henry verspürte ein nagendes Gefühl in der Magengegend. Ihm war klar, dass eine Entscheidung bevorstand. Und ihm war ebenso klar, wie diese Entscheidung ausfallen musste: Sie würden an Bord der Fahrzeuge gehen und diesen Ort so schnell wie möglich verlassen. Etwas anderes blieb ihnen gar nicht übrig. Die Gefahr, die von Spyker und seinen Männern ausging – und von dem, was in den Höhlen unter der Stadt lauerte –, überwog die immer kleiner werdende Hoffnung, dass Donald Wilkins noch am Leben sein könnte. Er atmete tief ein und wappnete sich innerlich darauf, dass Golitzin oder der Professor den alles entscheidenden Befehl geben würde.
Da drang aus der Ferne plötzlich ein ungewohntes Geräusch an seine Ohren. Es klang wie der militärische Wirbel einer Marschtrommel, allerdings weit entfernt und irgendwie dumpf, als müsste der Schall sich einen Weg durch die dicken Wände eines Kellerraums bahnen. Henry brauchte einen Moment, bevor ihm
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