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Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis

Titel: Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Schumacher
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sein. Ein Blick auf die Leuchtziffern seiner Armbanduhr verriet ihm jedoch, dass es bereits weit nach Mitternacht war.
    Sofort sah er, was ihn geweckt hatte: Draußen, oberhalb seines Zelts, zuckten bunte Lichter hin und her, so hell, dass sie selbst durch den zweilagigen Kunststoff deutlich zu erkennen waren.
    Suchscheinwerfer? Ein Feuer?
    Im Handumdrehen war Henry auf den Beinen, hatte sich den Parka übergeworfen und war aus der Schleuse gestolpert. Vor dem Zelt blieb er wie angewurzelt stehen.
    Der Himmel über seinem Kopf schien zu brennen. Von einem Ende zum anderen erstrahlte der Horizont in einem regelrechten Wasserfall aus Licht: Grüne und rote Wogen schienen sich in endlosen Bächen aus dem sternklaren Nachthimmel Richtung Erde zu ergießen. Noch während Henry hinsah, verschmolzen sie zu schillernden Vorhängen, bildeten rotierende Wirbel, schwingende Bänder und tausend andere Formen. Die Leuchtkraft der Erscheinung wurde durch die weiße Schneelandschaft ringsum noch verstärkt, sodass es beinahe taghell war.
    Das Unheimlichste war, dass sich all dies in absoluter Lautlosigkeit abspielte. Sogar der Wind, der tagsüber geweht hatte, war verstummt, so als wollte er diesem überirdischen Schauspiel Respekt erweisen.
    Henry starrte mit offenem Mund in die Höhe, bis er hinter sich knirschende Schritte im Schnee vernahm. Er drehte sich um.
    Vom Hauptzelt kam Boris Golitzin herübergestapft, ohne Eile, das Gesicht mit friedvoller Miene gen Himmel gerichtet. Hinter ihm erschien Morten Gray in der Schleuse und folgte ihm.
    »Aurora australis«, sagte Golitzin, als er neben Henry ankam. »Das berühmte Südlicht. Ich hatte nicht gehofft, es euch schon so bald vorführen zu können.«
    »Das … so etwas habe ich noch nie gesehen!« Henry sah wieder nach oben, wo sich die Lichtbänder jetzt in huschende Strahlenbündel verwandelten, die flatternd mal hier, mal dort aufblitzten.
    »Kein Wunder. Der Effekt ist nur jenseits der Polarkreise sichtbar.«
    Gray trat zu ihnen, und für die nächsten Minuten beobachteten sie zu dritt das unvergleichliche Schauspiel am Firmament.
    »Wie kommt dieses Leuchten zustande?«, wollte Morten Gray schließlich wissen. »Es hat irgendetwas mit Sonnenwinden zu tun, nicht wahr?«
    Golitzin nickte. »Das Magnetfeld der Erde schützt uns vor Strömen elektrisch geladener Teilchen, die ständig von der Sonne auf uns einprasseln – Elektronen und Protonen, die sogenannten Sonnenwinde. Über den Polen ist dieses Magnetfeld dünner als über dem Rest des Planeten. Das hat zur Folge, dass die Sonnenwinde hier tiefer hinabdringen können und erst unterhalb zweihundert Kilometern mit den Luftmolekülen unserer Atmosphäre kollidieren. Dabei wird Energie freigesetzt – die leuchtenden Entladungen, die ihr seht.«
    »Es sieht echt toll aus«, sagte Henry. »Gibt es noch andere Farben außer Rot und Grün?«
    »Wenn sich genügend angereicherte Stickstoffmoleküle in der Luft befinden, kommen auch Violett- und Blautöne vor. Ich denke, wir werden auch das noch zu sehen bekommen.« Golitzin wandte sich um und kehrte zum Hauptzelt zurück.
    Morten Gray blieb noch eine Weile neben Henry stehen und betrachtete die leuchtenden Muster. »Beeindruckend«, stellte er schließlich fest. »Und ein gutes Omen, was unsere Aufgabe angeht.«
    »Glauben Sie?«
    Gray nickte ernst. »Ja. Das glaube ich.« Ohne einen weiteren Blick gen Himmel marschierte er davon.
    Henry genoss das bunte Schauspiel noch einige Minuten länger. Als er sich schließlich abwandte und in sein Zelt zurückkehren wollte, bemerkte er eine Säule geringelter blauer Wölkchen, die hinter dem Hauptzelt in den geisterhaft erleuchteten Himmel aufstieg. Neugierig ging er hinüber und umrundete das Zelt.
    Ein paar Schritte weiter lehnte Lincoln Packard an der Seite des Hägglund, rauchte eine selbst gedrehte Zigarette und starrte versonnen in den Himmel hinauf. Als Henry sich ihm näherte, stieg ihm erneut der würzige Duft in die Nase, der ihm in Lincolns Nähe schon aufgefallen war. Plötzlich wusste er, worum es sich dabei handelte.
    »Kiffst du etwa?«, wollte er ungläubig wissen.
    »Klar, Mann. Was soll man denn hier, am Arsch der Welt, sonst in seiner Freizeit machen?« Lincoln nahm einen tiefen Zug und ließ den Rauch genüsslich aus Nase und Mund entweichen. »Mein Onkel Ed aus Vermont hat mal zwei Winter als Maschinentechniker auf der Scott-Basis mitgemacht. Als er hörte, dass ich für eine Saison in die Antarktis gehe, gab er mir

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