Schussfahrt
Geschmacksneutralität auszeichnete, und hingen ihren Gedanken nach.
Jos Hirn war einfach nicht stillzulegen. Hätte Martl auf sie geschossen? Und
wenn doch Marcel?
»Gerhard, glaubst du
nicht auch, es könnte doch der Marcel …?«
Gerhard stand auf
und blitzte sie böse an. »Ende des Detektivspielens. Ende der Durchsage.«
Er schlenderte zu
Ralf, einem ehemaligen Fußballkumpel, hinüber und ließ Jo einfach sitzen.
Jo hatte Gelegenheit
sich umzusehen – die Party war ein Debakel und wirklich nicht dazu angetan, Jos
Laune zu bessern. Was es hier zu sehen gab, passte in die depressive
Grundstimmung der letzten Tage: Alles verloren, nichts mehr zu retten.
Jos alte
Revoluzzerfreunde waren endgültig zu lauter unheimlich glücklichen und weisen
Familien mutiert. Sie referierten penetrant über die biologische Uhr, ein
neckisches: »Na ja, du wirst auch nicht jünger« auf den Lippen. Ihre einst so
emanzipierte Freundinnen hatten alles vergessen, was ihnen vor fünfzehn Jahren
noch Emphase entlockt hatte. Sie hatten keine faulen Kompromisse eingehen
wollen und keine Neuauflage der Geschichten ihrer Mütter schreiben wollen –
Geschichten, bei denen das Erdulden in jedem Kapitel eine so große Rolle
gespielt hatte.
Beate hatte das am
allerwenigsten gewollt. Sie hatte Stöckelschuhe gehasst. Sie – ganz die
betroffene Sozialpädagogikstudentin – war immer die vehementeste Verfechterin
der These gewesen, dass man sich in seinem Stil nie von einem Mann beeinflussen
lassen sollte. Sie hatte nur Schlabberpullis getragen und burschikos kurz
geschnittenes Haar. Heute hatte sie sich mit ihrer sehr barocken Figur in ein
kurzes Designerkostümchen gezwängt, das so eng war, dass man sie darin
eingenäht haben musste. Aber ihr Raiffeisenbankdirektor wollte das wohl so.
Babsi dagegen war
eine hoch explosive Mischung aus Lachsalven und herrlich unmöglichem Benehmen
gewesen. Sie litt männerbedingt häufig unter Herzschmerz und Gin-bedingt unter
Kopfschmerz. Heute bändigte sie in einem unsäglichen Vorort, der den Charme eines
Kühlschranks ausstrahlte, zwei Kinder. Ihr zweifellos sympathischer Mann hatte
nur einen Fehler: Er war nie zu Hause.
Auf dem Fest, das
eher einem Trauerzug der verstorbenen Träume, Ideale und Utopien glich, war
Babsis Typ natürlich auch nicht. Babsi hingegen war lautstark anwesend, sie
verteilte Kochrezepte und drängte Jo gerade ein Rezept für Tiramisu ohne Eier
auf. Sie, die Kochen immer als die allerletzte Tyrannei des Mannes abgetan
hatte!
Ralf, der Chaot par
excellence, der früher eigentlich nur zum Umpacken seines Expeditionsrucksackes
und zum ausgiebigen Duschen, Waschen, Geldschnorren und Essen zwischen zwei
Südafrika- und drei Neuseelandtouren zurückgekommen war, predigte Gerhard
momentan über den Vorteil einer Sachbearbeiterstelle für die Buchstaben A bis
K. »Da hast du feste Dienstzeiten, also deine Nachtschichten bei der Polizei,
das ist doch moderne Ausbeutung bei dem superschlechten Geld!«
Jo warf Gerhard
einen hilfesuchenden Blick zu: Bitte rette mich, lass uns hier verschwinden!
Aber er nickte ihr nur unwirsch zu, während Babsi immer noch über ihr Tiramisu
referierte:
»Weißt du, das hab
ich von der Sybille. Die kenn ich vom Aerobic. Sie ist die Chefsekretärin der SAF . Ihr Chef, der Homanner, braucht
Süßes, sagt sie, wegen dem Stress.«
Plötzlich war Jo
hellwach. SAF ? Sie lächelte Babsi
verschwörerisch zu. »Ja, ja, Schokolade hilft da immer, was hat der denn für
einen Stress?«
Babsi kicherte
albern. »Na, das darf ich eigentlich nicht sagen. Hihi …« Sie nippte an ihrem
Sekt.
»Och komm«, Jo gab
sich ebenfalls albern, »mir kannst du’s doch sagen.«
»Also gut, ist ja
eigentlich auch egal. Stell dir vor: Die haben eine ganze neue Maschinenstraße
aufgebaut, weil sie eine völlig neue Sportswear-Kollektion auflegen wollen. Da
steckt Arbeit von drei Designern drin. Das allein hat schon ein Vermögen
gekostet. Das Ganze soll heißen: ›Martin’s Choice‹. Du weißt schon, dieser
Skityp. Weißt du, der Große, der so toll aussieht. So ein bisschen brutal auch.
Was man so hört, ist der ein Renner im Bett. Und da hat der so eine langweilige
Frau. Na ja, also den würde ich nicht von der Bettkante stoßen.« Babsi gackerte
anzüglich.
Jo rang um Fassung.
»Babsi, du wolltest mir was erzählen.«
»Ja, also, es ist
alles auf seinen geilen Body zugeschnitten, und jetzt kommt’s. Der hat den
Vertrag noch gar nicht unterzeichnet, weil er noch
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