Schussfahrt
hörte jemanden fluchen.
Gerhard!
Er kam mit einer
übergeschwappten Tasse Cappuccino herein. »Diese Katzen werden ja zu
Raubtieren, wenn es um Kaffee geht.« Er zeigte ihr einen tiefen Kratzer. »Dein
Kater hat mir doch echt eine gehauen, als ich ihn von der Tasse entfernen
wollte.«
»Der arme Moebi, du
kannst doch seinen Tagesrhythmus nicht so durcheinander bringen.« Jo griff nach
der Tasse.
»Der arme Moebi«,
echote Gerhard, »und wer fragt nach dem armen Gerhard? Der arme Gerhard hat
Kreuzschmerzen. Deine Couch ist was für Liliputaner. Und ab sechs Uhr hat mir
so ein Vieh seine nasse Nase ins Ohr gebohrt!«
Jo gab Gerhard einen
Knuff in die Seite. »Du armer, schwarzer Kater.«
»Jawoll, und es
kommt noch besser. Als ich in meinen Kleiderberg am Boden gegriffen habe, hab
ich in was Felliges gelangt: deine Wienerin.«
Jo begann zu
kichern. »Ja, so was liebt sie. Höhle bauen und so. Allerdings nur, wenn es ein
bisschen riecht …«
Gerhard bewarf Jo
mit einer Socke, die dieser Beschreibung eindeutig entsprach. Mit Geplänkel
verging der Vormittag, Gerhard vermied es tunlichst, das Mordthema
anzuschneiden. Er erinnerte sie an eine Einladung zu einem Geburtstagsfest.
»Komm, das wird dich
ablenken, und wenn wir nur zum Lästern hingehen. Wieder jemand im Kreis der
Greise, einer dieser berüchtigten fünfunddreißigsten Geburtstage. Es ist
vielleicht ganz witzig, die alten Pappnasen wiederzusehen«, versuchte sich
Gerhard im Plauderton.
Jo schenkte Gerhard
einen dankbaren Blick. Er meinte es ja gut, auch wenn sie überhaupt keine Lust
hatte auf Susi.
Jos Briefkasten, der
sonst nur von Pressemeldungen, von bunten Zettelchen immer neuer Pizzaheimservices
und von bedrohlichen Botschaften der Telekom überquoll, hatte ihr unlängst ein
silbrig schimmerndes Kuvert vor die Füße gespuckt. Eine Einladung von Susi, in
altbackener gepunzter Schrift. Nicht mal ihre Oma hätte so eine Einladung
versendet!
Susi war ein nettes
Mädel; nett, nichtssagend und anwesend. Anwesend auf Jos Partys, anwesend auf
den Weltverbesserer-Diskussionsrunden zur Studienzeit. Susi war anwesend
gewesen und hatte selbst nie etwas gesagt.
Susi hatte sich
montags nach München zum BWL -Studium
geschleppt und die Stadt fluchtartig an Donnerstagen verlassen, um »d’hoim in
d’r Hoimet« zu kellnern. Susi war in eine Art stummen Widerstand gegen die
Studien-Stadt getreten, hatte in München nie Leute kennen gelernt. Sie hatte
neben Jos Bekannten geschwiegen, die in Australien als Schafscherer jobbten
oder mit einem Yak durch Tibet gewandert waren. Susi hatte ihr Studium nie
beendet und kellnerte bis heute in einer Taxi- und Fernfahrerkneipe.
Ab und zu traf Jo
sie am Bahnhof. Susi plauderte dort mit irgendeinem Taxler, und Jo hatte dann
einen ihrer seltenen Anflüge von Vernunft und ließ nach den üblichen
Business-Essen und Business-Weinen das Auto stehen. Sie redeten dann meist
übers Wetter – warum Susi sie jetzt zu einem Geburtstagsfest eingeladen hatte,
verstand Jo auch nicht. Aber womöglich lenkte das Spektakel wirklich ab. Susi
hatte das Ganze als After-Work-Party deklariert, damit es wochentags nicht so
spät für die arbeitende Bevölkerung wurde. Diese nachgerade großstädtische
Inszenierung stand in merkwürdigem Kontrast zu der drögen Einladung, aber
wahrscheinlich hatte Susi in einem ihrer Frauenmagazine gelesen, dass After
Work jetzt »in« ist.
Gerhard bedrängte
sie erneut: »Komm, ich fahr dich am Krankenhaus vorbei wegen deines
Verbandswechsels, und dann passt das doch zeitlich gerade. Wir sollen um
siebzehn Uhr da sein. Los, Jo, ich habe jetzt schon Hunger! Bei dir im
Kühlschrank steht ein Joghurt und eine Flasche Prosecco – das ist doch kein
Essen für einen Mann! Ich werde unerträglich, wenn ich Hunger habe!«
Das war ein
Argument, Jo stimmte zu, und sie tuckerten los.
Jo und Gerhard
malten sich gerade aus, wer wohl auf der Party sein würde, als der Verkehr zu
stocken begann. Ein Demonstrationszug gegen das Event Castle blockierte
Kempten, das halbe Allgäu war auf den Beinen. Da hatten die Bürgerinitiativen
ganze Arbeit geleistet und sich den Tod von HJ Rümmele zunutze gemacht: Jetzt war das Castle erst recht in aller Munde.
Gerade noch
rechtzeitig zur Eröffnung des Büfetts im Gasthof in Wiggensbach trafen sie ein
und wurden auch schon vorgestellt: Gerhard als der »Bulle«, Jo als unsere
»Touritante«. Der Bulle und die Touritante stocherten in einem Nudelsalat, der
sich durch
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