Schusslinie
überzeugt, er
wird den weiteren Gang der Dinge in die richtige Richtung lenken.«
Die Vernehmungsprotokolle und Ergebnisse der Spurensicherung füllten
mittlerweile zwei Dutzend Ordner. Ganz abgesehen davon, dass auch im Computer jede
Menge Erkenntnisse gespeichert waren. Vielleicht hätte die Beweislast ausgereicht,
gegen Anna einen Haftbefehl zu erwirken, dachte Häberle an diesem Mittwochmorgen
– nach dem 2:2-Unentschieden der Deutschen gegen Argentinien. Die fußballbegeisterten
Kollegen der Sonderkommission sahen die Klinsmann-Elf bereits im Endspiel des Confederations-Cups,
doch dazu müsste am Samstag Brasilien geschlagen werden. Über die Chancen wurden
bereits intern Wetten abgeschlossen – aber die standen mehrheitlich gegen die Deutschen.
Häberle hatte einen weiteren schriftlichen
Anlauf genommen, um Bruhn doch noch von einer Dienstreise nach Košice zu überzeugen.
Er hatte inzwischen mehrfach mit einem Kapitán der Kriminalpolizei dieser slowakischen
Stadt telefoniert, aber kaum mehr als ihm das Versprechen abgerungen, sich mal um
das Vorleben dieses Jano zu kümmern. Allerdings hatte der Kapitán, was einem Kommissar
entsprach, in freundschaftlichem Ton und auf Englisch erklärt, dass er jederzeit
dem deutschen Kollegen, falls er die lange Reise in Kauf nehmen wolle, bei seinem
Besuch hilfreich zur Seite stehen würde.
Häberle überlegte, ob er sein Anliegen an nächsthöherer
Stelle, also bei der Landespolizeidirektion in Stuttgart anbringen sollte, verwarf
aber den Gedanken wieder. »Entschuldigung, Chef«, machte sich Linkohr bemerkbar.
»Aber mir ist so ein Gedanke gekommen.«
»Schießen Sie los.«
»Ich weiß, es klingt vermessen – aber ich denke,
wir sollten uns nicht nur in Košice umsehen, sondern auch in Berlin.«
Oh, dachte Häberle, ganz schön kühn der junge
Kollege. Er grinste und bot ihm einen Platz an.
»Sie nach Berlin, ich nach Košice, was? Die
Göppinger Kripo auf Tour.« Häberle verschränkte die Arme.
»Die Fäden unseres Falls laufen nicht hier
in der Provinz zusammen, sondern anderweitig«, begründete Linkohr seinen Vorstoß.
Er hatte seinem Chef bereits ausführlich von dem seltsamen Verhalten des Ministerialdirektors
Gangolf berichtet. »Jetzt weiß ich nämlich, um welch geheimnisvolle Verbindung es
sich zwischen Nullenbruch und dem Wirtschaftsministerium handelt.«
»Sie haben was Neues rausgefunden?«
»Exakt. Wenn mich schon jemand wie einen dummen
Jungen behandelt, wie dieser Gangolf es getan hat, dann muss er auch damit rechnen,
genauer unter die Lupe genommen zu werden.«
»Und das haben Sie getan?«, fragte Häberle,
nichts Gutes ahnend. Er musste auch an sein Gespräch mit dem Ministerialdirektor
denken, der zwischen den Zeilen allerlei Drohungen versteckt zu haben schien.
»Nur ein bisschen im Privatleben forschen lassen«,
lächelte Linkohr, »und was glauben Sie, was er uns hartnäckig verschwiegen hat?«
Häberle zuckte mit den Schultern. »Sie werden’s
mir gleich verraten.«
»Dieser Gangolf ist der Ex-Mann von Ute Siller.«
46
Eigentlich hatte Häberle gehofft, zum Wochenende nach Košice fliegen
zu können. Doch Bruhn blockte weiterhin. Sogar noch eine Spur energischer, als bisher
– zumindest hatte der Kommissar diesen Eindruck. »Sie neigen in letzter Zeit dazu,
globale Banden am Werk zu sehen«, bäffte er ins Telefon, als er zum wiederholten
Male weitere Details wissen wollte. »Ich kenn das … diese Akte mit der Dienstaufsichtsbeschwerde … ach, was.« Er brach ab und wechselte das
Thema: »Was wollen Sie denn als einziger deutscher Polizist in der Slowakei?«
»Wenn ich eines sagen darf«, versuchte es Häberle
auf die sanfte Tour, obwohl ihm angesichts des alles lähmenden Bürokratismus und
der ewigen Sparerei beinahe der Kragen geplatzt wäre, »… wir drehen uns inzwischen
hier im Kreis, während sich unsere Gegner ins Fäustchen lachen, wie schwerfällig
unser Polizeiapparat ist.«
»Was heißt da schwerfällig«, brauste Bruhn
los, »wollen Sie damit sagen, wir seien nicht imstande, lagebezogen zu reagieren?«
Die Stimme ließ das Telefon vibrieren.
»Das würde ich mir niemals erlauben«, grinste
der Kommissar und malte sich insgeheim aus, was jetzt geschehen würde, könnte Bruhn
sein Gesicht sehen. »Aber wenn ich die Verflechtungen sehe, die wir inzwischen aufgezeigt
haben, dann sollten wir handeln. Lieber heute als morgen.«
Bruhn schnaubte. »Das müssen Sie mir überlassen.
Ich melde mich wieder.«
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