Schusslinie
geschlossenen Augen auf die Stimme. Sie
war zwar dumpf, weil das versteckte Mikrofon vermutlich in einem ungünstigen Winkel
zu Gangolf angebracht war, aber verständlich waren die Worte allesamt.
»Jedenfalls, meine Damen und Herren, wurden
Forderungen erhoben«, hörte Häberle die Stimme weiter. »Es wurden Forderungen erhoben.
Ja, Forderungen. Eine Gruppe von Slowaken hat versucht, ihr Wissen in bare Münze
umzusetzen.«
»Erpresser«, rief eine Männerstimme dazwischen.
Gangolf schien nicht darauf einzugehen. »Unser
Freund Matthias Nullenbruch ist in ihre Fänge geraten, das ist allseits bekannt«,
sagte der Ministerialdirektor. Er behielt die Kellner am Ende des Saales im Auge
und überlegte, ob es gut gewesen war, so deutlich zu werden. Doch die Schwarzkittel
schienen überhaupt nicht zuzuhören.
»Und auch dieser Jano«, fuhr er deshalb fort,
»ist in den Sog seiner Landsleute geraten, sodass ihm schließlich sein Schwager
aus Amerika beistehen musste. Tja, und dann kam die Sache mit Klinsmann. Wie aus
heiterem Himmel. Sie können mir glauben, meine Damen und Herren, dass mich dies
genau so geschockt hat wie Sie alle. Unser ganzes Bemühen – kurzum eben alles, was wir in der letzten
Zeit getan haben – schien zunichte gemacht zu werden. Es ist der Cleverness dieses
Kommissars zu verdanken, dass Klinsmann nichts passiert ist«, erklärte Gangolf.
Häberle am Lautsprecher grinste und spitzte die Ohren. »Ich weiß nicht, wie der
Kriminalbeamte heißt, aber er ist clever, sehr clever sogar – und deshalb auch weiterhin am Ball, wenn
man dies so sagen kann.«
Drüben im Saal lächelte Gangolf. »Doch noch
vor dieser spektakulären Befreiungsaktion, das kann ich hier ruhig sagen, gab es
große Aufregung.«
Als ob die verbliebenen Kellner gespürt hätten,
dass ihm ihre Gegenwart nicht gefiel, verließen sie den Saal. Gangolf war zufrieden.
Jetzt konnte er deutlicher formulieren. »Anfang Juli sind im Kanzleramt Akten von
höchster Brisanz aufgetaucht.« Ein Raunen ging durch den Raum. »Akten aus dem Koffer
unseres Freundes Lanski. Nur Kopien – allerdings von höchster Brisanz, wie ich sagte.
Namen, Adressen und so weiter. Und eine Forderung über vier Millionen.«
Für ein paar Sekunden musste Gangolf unterbrechen,
weil ein Stimmengewirr entstand. »Dann muss es noch eine Lücke geben«, rief jemand.
Ein anderer bekräftigte enttäuscht: »Die Sache ist tot, vergessen Sie’s.«
»Angesichts der Tatsache«, fuhr der Politiker
sachlich und unbeirrt fort, »… angesichts der Tatsache, dass unser Freund Matthias
seit nahezu eineinhalb Monaten festgehalten wurde, haben wir keine andere Möglichkeit
gesehen, als den Forderungen nachzukommen.« Empörte Zwischenrufe. Diskussionen entbrannten.
Häberle konnte am Lautsprecher keine einzelnen Gespräche mehr verstehen. Es hörte
sich nach tumultartigen Szenen an. Irgendjemand schien mit Gläsern aneinander zu
schlagen, um sich wieder Gehör zu verschaffen. Häberle wählte unterdessen am Hausapparat
eine Nummer. »Sind Kollegen drin?«, fragte er, denn es gab nur Ton, aber kein Videobild
aus dem Saal. »Okay«, sagte er schließlich, »niemand soll vorläufig mehr reingehen.«
Plötzlich war im Lautsprecher wieder eine Stimme zu verstehen: »Was hätten wir schon
tun sollen?«, fragte Gangolf rhetorisch, »… vier Millionen überwiesen nach Kiew
– und unser Freund Matthias wurde freigelassen. Die ›ehrenwerte Gesellschaft‹ ist
auch dort sehr korrekt und zuverlässig. Wobei wir aber nicht wissen …« Er zögerte, es zu sagen. »… ja, wobei wir
nicht wissen, woher die Akten ans Kanzleramt gekommen sind.« Wieder brandete Stimmengewirr
auf. »Aber … bitte, meine Damen
und Herren«, Gangolf verschaffte sich wieder Ruhe, »… ich denke, es ist uns gelungen,
auch dieses Problem in den Griff zu bekommen.«
Häberle stutzte und lauschte. Doch die Stimme
im Lautsprecher wollte keine Einzelheiten nennen.
»Ich möchte Ihnen nichts vormachen, meine Damen
und Herren – ich bin zwar der Meinung, dass sämtliche Gefahrenquellen ausgeschaltet
sind, aber dennoch sollten wir uns heute im Klaren darüber sein, dass ein Restrisiko
bleibt.« Wieder gab es empörtes Gemurmel.
»Aufhören, sofort aufhören«, war eine Stimme
aus dem Hintergrund zu hören, »Klinsmann ist ein grundehrlicher Mensch. Er darf
nicht länger einer Gefahr ausgesetzt werden, von der er nichts weiß.«
»Denkt an den Zorn von ›MV‹ «, schallte ein
anderer Zwischenruf durch den
Weitere Kostenlose Bücher