Schusslinie
als wollten sie joggen. Noch zwei Querstraßen
bis zum ›Slovan‹, dessen beleuchtete Stockwerke sich vom Nachthimmel abhoben.
Rainer drehte sich um. Die Männer waren bereits
dicht hinter ihnen und machten keine Anstalten mehr, unerkannt bleiben zu wollen.
Ihre kantigen Gesichter waren zu einem breiten Grinsen verzogen.
»Warum haben Sie’s denn plötzlich so eilig?«,
fragte einer der beiden. Der slawische Akzent war nicht zu überhören.
Martin und Rainer blieben wie angewurzelt stehen
und schauten ihren Verfolgern in gefährlich blitzende Augen.
»Was wollen Sie von uns?«, hörte sich Rainer,
wie automatisch, aber ängstlich fragen. Ihm klopfte das Herz bis zum Hals. Martin
hatte die Situation sofort erfasst, verzog sein Gesicht, als wolle er Gift und Galle
spucken. »Lassen Sie uns augenblicklich in Ruhe«, dröhnte seine sonore Stimme, sodass
sich einige Passanten erschrocken umdrehten. Sie verstanden vermutlich kein deutsch.
Martin ging entschlossen weiter, Rainer ebenfalls. Doch die beiden Verfolger rannten
um sie herum und stellten sich ihnen breitbeinig provokativ in den Weg – ungeachtet
einiger Pärchen, die sich aber eher für die Schaufenster als für diese Männer interessierten.
Die Deutschen blieben notgedrungen stehen.
»Verschwinden Sie«, entfuhr es Martin so laut, dass es über die ganze Straße schallte.
Doch niemand kümmerte sich darum. Die beiden Slowaken grinsten, ihre Gesichter wurden
noch kantiger. »Wir sollten in Ruhe miteinander reden«, presste einer der beiden
hervor und ließ am Tonfall erkennen, dass es keine Bitte, sondern eine unmissverständliche
Aufforderung war. Sein Begleiter und er traten bedrohlich nahe an die Deutschen
heran. Martin rang nach Luft, seine Stimme versagte.
»Folgen Sie uns«, zischte der zweite Slowake,
»und zwar sofort – sonst müssen wir Sie zwingen.« Martin und Rainer sahen sich erschrocken
an, als warte einer auf die Reaktion des andern. Dem Älteren war der Kopf tiefrot
angelaufen. »Sie werden gar nichts tun«, entgegnete er so energisch, wie es ihm
in dieser Situation noch möglich war. Doch der kleine Funken Widerstand wurde schnell
gebrochen. Ein metallisches Klicken in der Hand eines der Männer reichte aus. Es
war ein Klappmesser, das aufgesprungen war. Der Slowake hielt es unauffällig auf
den Bauch Rainers gerichtet. In der Klinge spiegelte sich das Licht der Straßenlampen.
»Kein Wort mehr – nicht eines«, drohte der Mann mit dem Messer. Den Deutschen wurde
klar, dass sie keine Chance hatten.
Der Abend war kühl – auch im Stuttgarter Talkessel, wo jetzt, Anfang
Juni, in den parkähnlichen Gärten an den Südhängen eigentlich ein geradezu mediterranes
Klima vorherrschen müsste. August Häberle kannte sich hier aus. Als er noch Sonderermittler
beim Landeskriminalamt war, hatte er in diesen Villenvierteln einige gut betuchte
Tatverdächtige gehabt, die ihn regelmäßig mit ihren vielfältigen Beziehungen zu
politischen Größen einzuschüchtern versuchten. Dies fiel ihm ein, als ihn Stefan
Beierlein in das Wohnzimmer hinabführte, wo ihm die kühle Reserviertheit einer Frau
entgegenschlug, die beim Händeschütteln sitzen blieb.
Beierlein bot dem Gast einen Platz in einem
der Sessel an.
»Wenn ein Kommissar um diese Zeit 60 Kilometer
weit fährt, dann ist die Sache ernst«, stellte er fest.
»Man kann das so sehen«, erwiderte der Kommissar.
»Manches lässt sich nur im persönlichen Gespräch klären.« Er verschränkte seine
Arme und blickte nacheinander in versteinerte Gesichter. »Inzwischen hat sich bestätigt,
dass unser Toter Herr Lanski ist«, fuhr er fort. Linkohr hatte ihn unterwegs davon
unterrichtet, dass die Daten des Eherings mit dem Hochzeitstag der Lanskis übereinstimmten.
Beierlein schluckte. »Und er hat meinen Namen
benutzt – in diesem Hotel?«
Häberle nickte. »Das ist der Grund, weshalb
ich von Ihnen wissen sollte, welcher Art Ihre Kontakte miteinander waren. Woher
kennen Sie ihn?«
Beierlein hatte mit dieser Frage gerechnet.
Für einen Moment sah er Hilfe suchend zu seiner Frau, die einen entspannten Eindruck
machte.
»Wir sind Geschäftsfreunde und uns verbindet
der Sport«, begann der Stuttgarter langsam. Er gab sich Mühe, die richtigen Worte
zu wählen. »Sie müssen wissen, ich bin Sportartikel-Großhändler und Herr Lanski
ist Handelsvertreter in dieser Branche.«
Häberle hörte aufmerksam zu. Als er erwartungsvoll
nickte, machte Beierlein weiter: »Mein Herz schlägt für den
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