Schutzengel mit ohne Flügel
breitet sich Dunkelheit aus, nur an Alpis Lagerplatz glüht mitten im Dunkeln ein matter roter Schimmer. Das gleichmäßig brennende Lagerfeuer beleuchtet die Umgebung. Alpi legt sich unter sein Schutzdach, die Flammen des Feuers wärmen ihn. Ikä-Alpi hat an die Tausend Füchse, dazu mehrere Wölfe, etwa zwanzig Vielfraße und Luchse sowie achtundvierzig Bären erlegt. Er ist Finnlands mächtigster Raubtierfänger und -jäger.
Aaro legte die Manuskriptseiten aus der Hand und blickte durchs Schaufenster auf die Straße. Irgendwie fand er es schön, dass er Viivi seine Ergüsse vorgelesen hatte. Obwohl er das Mädchen kaum kannte, war alles irgendwie ganz zwanglos. Sie schwiegen beide, Viivi kam näher und lachte dann unruhig.
»Heutzutage töten die ›Fuchsmädchen‹ in einer einzigen Nacht tausend Füchse«, sagte sie und streichelte Aaros Haar.
Er erzählte ihr, dass man in Savukoski letzten Sommer Gold gefunden hatte, und zwar im Kies am Ufer des Värriöjoki. Keine großen Mengen, Touristen hatten ein paar kleine Krümel ausgewaschen, aber immerhin.
»Die Gemeinde plant bereits für den Herbst Goldwäscherwettkämpfe oder irgendwelche Kurse. Mich haben sie auch eingeladen, weil ich dieses Buch schreibe. Wäre es nicht großartig, am Fluss Geld zu machen?«
Viivi dachte bei sich, dass sie wohl nicht einfach so mit einem fremden Mann verreisen würde, aber wer weiß.
»Es wäre natürlich toll, reich zu werden. Man müsste einen Klumpen Gold finden, der ein ganzes Kilo wiegt. Was könnte man dann nicht alles kaufen!«
Der Schutzengel hatte Aaro Korhonens Lesung zunächst gleichgültig gelauscht, aber je mehr der Vortragende von der Lagerfeuerstimmung wiedergab, desto mehr wurde Sulo Auvinen für das Thema sensibilisiert. Nach Ende des Vortrags begann er, Tapio Rautavaaras bekannten Erfolgstitel von der Nachtstimmung am Lagerfeuer vor sich hin zu summen. Als Religionslehrer hatte er zwar sein ganzes Leben lang Kirchenlieder gesungen, aber er kannte auch diesen wehmütigen Schlager, an dessen Text er sich gut erinnerte. Sulo war richtig gerührt von seinem eigenen Gesang und hob die Stimme. Dabei dachte er an den im Manuskript erwähnten Jäger Ikä-Alpi, und zum Schluss ließ er seine Stimme in ihrer ganzen Feierlichkeit laut schallen. Zum Glück ist der Gesang der Engel für des Menschen Ohr nicht wahrnehmbar, sonst hätte Sulo Auvinens Darbietung das ganze umliegende Viertel aufgeweckt.
Aaro Korhonen stimmte ganz ungezwungen in den Gesang seines Engels mit ein. Ihm kam Rautavaaras Melodie in den Sinn, und ein tiefer innerer Zwang und der Zauber des Augenblicks ließen ihn laut grölen. Am erstaunlichsten war, dass sogar Viivi, eine junge Städterin, ihre Nase zur Decke emporreckte und mitsang, und sie kannte alle Strophen, obwohl sie den besagten Schlager zuvor noch nie gesungen hatte. Doch es ist ja schon öfter vorgekommen, dass die Menschen unverhofft in einen Engelschor einstimmten.
Dreistimmig, mit zwei für das menschliche Ohr wahrnehmbaren Stimmen, sangen sie:
Ein wärmendes Feuer in Lapplands Nacht,
ich starre in die Flammen …
Zu gegebener Zeit endete die zu Herzen gehende Darbietung. Viivi und Aaro fielen einander lachend um den Hals. Vor allem Viivi wunderte sich, wieso sie diese altmodische Schnulze gesungen hatte, denn sie hatte sie nur einmal vor Jahren im Radio gehört.
»Das Lied ist ja wirklich schön, und dein Buch wird ganz prima, du brauchst nicht mal viel zu korrigieren.«
Von dem hier besungenen speziellen Lagerfeuer, dem Ritzenschein, hatte Viivi als kleines Mädchen stets angenommen, dass damit das durch die Tür- oder Fensterritze eindringende Licht gemeint sei. Ein paar freche Jungen hatten allerdings behauptet, die Frauen hätten zwischen den Beinen einen Ritzenschein … und gewissermaßen schöpft ja daraus auch der Bedürftige nachts Trost, Licht und Wärme.
10
EIN GELDEINGANG KANN NICHT VERHINDERT WERDEN
Infolge des Autounfalls war Aaro Korhonens Gesicht geschwollen und mit blauen Flecken übersät. Viivi verrieb lindernde Salben darauf, die aber ihren Zweck verfehlten. Nun mischte sich der Schutzengel ein, der die junge Frau aufforderte, in die Apotheke oder ein Reformhaus zu gehen und wirksamere Linimente zu kaufen.
»Mir fällt gerade ein, dass ich in die Eerikinkatu gehen und dir aus dem Reformhaus was Besseres holen könnte.«
Sulo Auvinen flog voran. Endlich hatte er wieder das Gefühl, gebraucht zu werden, er tat, wozu er berufen war. Das
Weitere Kostenlose Bücher