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Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)

Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)

Titel: Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Grünke
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rückwärts runter?»
    «Bin ma von ’nem Dach runtergeknallt, seitdem ist die Hüfte und dat Knie am Arsch.»
    «Und wie lange ist das her?»
    «Ach, gute zehn Jahre. Wat die Zeit vergeht! Wa, Ronny?»
    «Also, entschuldige, dass ich noch mal frage, aber du läufst jetzt seit zehn Jahren Treppen rückwärts runter?»
    «Ja.»
    «Bist du nie auf die Idee gekommen den Job zu wechseln?»
    «Nee, wieso? Ich bin Dachdecker. Wat willste machen?»

    Nach dem Kraftakt mit dem Container empfinde ich die 25 -Kilo-Steine fast schon als leicht. Für die letzte Reihe muss ich alle Blöcke halbieren, sodass Hans die Lücke zur Decke schließen kann. Das Sägeblatt frisst sich durch den weißen Kalksandstein, dabei spritzt mir das Kühlwasser frontal ins Gesicht. Was für eine herrliche Erfrischung in diesem Moment.
    Noch vor der Mittagspause ist die Mauer fertig. Jetzt muss nur noch die letzte Ritze mit Steinwolle ausgestopft und dann verspachtelt werden. Als ich am Ende der Wand angekommen und alles fein säuberlich ausgefüllt habe, juckt meine Haut an den Händen und im Gesicht.
    «Dat is die Steinwolle, musste mit klarem Wasser abwaschen. Isn Scheißzeug», erkennt Hans sofort das Problem.
    «Darum hast du mich auch spachteln lassen, was?», werfe ich ihm augenzwinkernd entgegen. Das Jucken wird immer stärker. «Ich gehe mal runter zum Schlauch und danach was essen bei Jimmy und den Jungs. Frische Falafel, hört sich doch gut an. Kommst du auch?»
    «Nee, lass ma. Falladingsda is nix für mich. Ich mach Mittach mit Richie, wie immer. Hab Stullen und frisches Gemüse dabei. Muss auf meine Ernährung achten.»
    «Jetzt verarschst du mich, oder? Gemüse? Auf deine Ernährung achten?»
    «Wieso? Ich hab immer Kohlrabi, Paprika und Möhren dabei. Dat fettige Essen is nich gut. Und zu viel Fleisch auch nicht. Hab damit früher echt übertrieben.»
     
    Eine leichte Brise weht den Sand unter dem verbeulten Bauwagen hindurch. Jimmy steht davor und zündet gerade mit einem Streichholz den Campingkocher und sich eine Kippe an. Ich kann die Gasschwaden aufsteigen sehen, wie sie die Realität in ein verschwommenes Bild verwandeln.
    «Hey, Jimmy, also ich würde dann gerne mit euch essen. Ich geh mir nur schnell die Hände waschen.»
    Ich klemme den Schlauch zwischen die Beine und versuche meine Hände und mein Gesicht mit dem lauwarmen Wasser sauber zu spülen.
    «Komm, ich halt ma», steht Ronny auf einmal neben mir und nimmt mir den Schlauch ab. Endlich kann ich die juckenden Fasern richtig abwaschen.
    «Was für ein unangenehmes Material, diese Steinwolle. Das juckt ja bestialisch», fluche ich und schüttele mir mit den Fingern das Wasser aus dem Haar.
    «Ach wat, dat is noch gar nix. Wir mussten ma bei 40  Grad ’n ganzes Dach mit dem Zeug abdecken, weißte. Und dann immer so mit dem ganzen Arm reindrücken. Da hab ich dat Brennen noch tagelang gespürt! Aber dat Husten war noch schlimmer!»
    «Wieso Husten?»
    «Na, man atmet den ganzen Scheiß doch auch ein! Zwei Monate lang hab ich gehustet wie die Sau! Und dat war zu ’ner Zeit, da war die Steinwolle noch aggressiver, weißte.»
    «Und die Schutzmasken haben dann auch nichts genutzt?»
    «Masken? Wir sind doch keine Memmen.»
    «Hm, ja, ich mach dann mal Mittag.»
    Es riecht köstlich, als ich dem Bauwagen näher komme. Jimmy schwenkt eine mit knusprigen Falafeln gefüllte Pfanne über der Flamme. Aus der geöffneten Tür dringt leise arabische Musik.
    Drinnen werde ich von der ganzen Truppe herzlich begrüßt, und Tony klopft mit der Hand auf einen freien Platz neben sich auf der Bank: «Komm rein.»
    Der Tisch ist reichlich gedeckt. In kleinen Schälchen befinden sich Hummus, eingelegtes Gemüse und Couscous mit Tomaten, Koriander und Minzsoße. Mohammed reicht mir Fladenbrot: «Hier, nimm! Schön, dass du mal mit uns isst.» Jimmy kommt rein und lädt mir gleich die ersten drei Falafel auf den Teller.
    «Gib den anderen doch auch erst mal.»
    «Nein, nein. Du bist Gast. Du bekommst zuerst.»
    Alle anderen nicken und reichen mir fast alle Schälchen gleichzeitig entgegen.
    Jimmy macht erwartungsfrohe Augen: «Du musst das Couscous probieren. Selbstgemacht von meine Frau. Das Beste von der Welt!»
    Ich genieße die herzliche Atmosphäre und bemerkenswerte Gastfreundlichkeit. Für einen Moment vergesse ich, dass ich in einem Bauwagen in Berlin sitze. Die Hitze, die Musik, das Essen – all das lässt Bilder von einer Reise nach Marrakesch vor meine Augen treten. Ich sehe

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