Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
nun, der russische Ölmilliardär!
Am Lastenaufzug der Dachdecker steht wie immer Hartmut und brüllt nach oben: «Wie viel? Wat brauchst du denn noch?»
Das ist typisch für die Dachdecker am Speicher. Sie schreien sich über die unsinnigsten Distanzen Informationen zu, die dann natürlich nie richtig ankommen. Ich möchte nicht wissen, was die Anwohner denken, wenn sie morgens um sieben dieses Gegröle ertragen müssen. Warum benutzen die keine Funkgeräte oder ihre Handys?
Etwas ist heute anders an Hartmut, aber auf den ersten Blick komme ich nicht drauf. Hatte er nicht noch vor ein paar Tagen komplett graue Haare? Warum sind Haare und Bart jetzt so schwarz, als ob er sie mit Schuhcreme eingerieben hätte? Das ist es! Der hat sie sich gefärbt! Ich nicke ihm zu und gehe ohne Kommentar nach oben. Auch Bauarbeiter scheinen vor einer Midlife-Crisis nicht gefeit.
«Dat sieht doch von unten keiner.»
«Dat is mir scheißegal. Ihr könnt doch nicht einfach graues Silikon benutzen, obwohl ich ausdrücklich transparent gesagt hab. Guck ma, wie die Kante aussieht!», schimpft Peter mit seiner üblichen Zornesröte im Gesicht.
«Ja, aber das Transparente wird so schnell dreckig. Darum hat Cheffe uns dat Graue mitgegeben», windet sich Eberhart.
«Auf der ganzen Nordseite habt ihr das transparente Silikon verwendet. Und jetzt erzählt ihr mir auf einmal, dass dat zu dreckig wird?»
Wenn Peter so in Wallung ist, nimmt man sich besser zurück und reizt ihn nicht zusätzlich. Das hat Ronny aber offenbar noch nicht begriffen.
«Reg dich doch nicht auf, Mann. Dat sieht man echt nich von unten.»
Jetzt habe ich Angst, dass Peter ihn vom Dach tritt. Ich sehe Ronny schon mit wehender Matte fünf Stockwerke nach unten rauschen.
Und wie erwartet, rastet Peter komplett aus. Er zieht sein Cutter-Messer aus der Tasche und schneidet unter der Dachrinne entlang das ganze Silikon raus. Die Arbeit eines halben Tages.
«Ihr macht dat jetz neu und ordentlich in Transparent, sonst ruf ich euern Chef an! IS DAT KLAR ?»
«Is ja gut, Mann», versucht ihn Eberhart etwas zu beschwichtigen, und ganz leise, dass ich es gerade so erahnen kann, sagt er zu Ronny: «Hauptsache, der sagt dem Alten nix.»
Die Klappe der Treppenluke hinter mir wird mit einem Knall aufgeschlagen. Der Architekt Hessel steigt langsam und sehr vorsichtig durch die Öffnung, damit sein Anzug nicht beschädigt wird.
«Hallo, Nicholas, wie geht’s? Danke übrigens für die weitergeleitete Mail gestern.» Er gibt mir die Hand und steuert dann auf Peter zu.
«Was ist los hier?»
«Die ham einfach graues Silikon benutzt. Schau dir dat an.»
«Das geht auf gar keinen Fall», pflichtet er Peter bei und macht zwei Schritte nach vorn. «Und was ist das?» Er zeigt auf den Mauervorsprung und wendet sich an Eberhart und Ronny. «Das kann man da nicht so hinschmieren. Und Sie beide kommen mir jetzt nicht damit, dass man das von unten nicht sieht.» Da kennt aber jemand das Dachdeckergeschäft, denke ich mir. Die beiden gucken wie zwei kleine Jungs, die der Vater beim Rauchen erwischt hat. «Ich habe Sie beide sowieso gesucht. Haben Sie bereits einen Plan erhalten für die Abdeckbleche an den Giebelseiten?»
«Der Plan ist im Auto, aber ich kann Ihnen dat eben aufzeichnen», und auf der Stelle fängt Eberhart an, seine magischen Striche zu ziehen. Ein Parallelogramm. Zwei Senkrechten. «Also, wenn wir dat da ansetzen und an der anderen Kante falten …»
Noch können wir alle folgen. Aber als dann eine Winkelhalbierende und Kreise dazukommen und er noch Zahlen an die Seiten schreibt, verlieren wir alle den Überblick.
«Was soll das bitte? Ich werde aus Ihrer Zeichnung nicht schlau!», runzelt Hessel die Stirn.
«Wieso, is doch logisch, wir müssen genau an dieser Stelle einknicken», entgegnet Ronny dem Architekten und tippt auf die beiden Kreise in der Zeichnung.
«Okay, dat reicht jetzt. Einer von euch beiden holt jetz die Pläne», mault Peter unruhig.
«Besser, wir gehen zusammen zum Auto und entgehen der Hitze hier oben. Unten haben wir dann vielleicht alle einen kühleren Kopf», widerspricht der Architekt Peter.
Und plötzlich bin ich ganz alleine. Das dunkle Zinkdach reflektiert das Licht so stark, dass mich nur noch Schatten und Umrisse umgeben. Einzig die wirren Hieroglyphen neben mir kann ich erkennen, aber immer noch nicht verstehen.
Kapitel 9 Wüste Gobi
Ich werde genau im richtigen Moment wach, um das rote Blinken des Alex über diesem Meer
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