Schutzlos: Thriller (German Edition)
spiele, sondern sammle (das Päckchen, das am Morgen eingetroffen war, enthielt ein antiquarisch erworbenes Spiel, nach dem ich seit Jahren gesucht hatte). Einer der Gründe, warum ich mich für das Stadthaus in der Altstadt von Alexandria entschieden hatte, war, dass es nur zwei Straßen von meinem Lieblingsspieleklub unweit der Prince Street entfernt liegt. Die Mitgliedschaft ist erschwinglich, und man kann sich immer sicher sein, dass man jemanden findet, der Schach, Bridge, Go, Wei-Chi, Risiko oder irgendein anderes Spiel spielt. Die Mitglieder sind bunt gemischt: alle Nationalitäten, Bildungsgrade, Altersstufen; allerdings überwiegen die Männer. Jede äußere Aufmachung und jedes Einkommen, politische Ansichten aller Art, die aber alle keine Rolle spielen.
Im Stadthaus lagern siebenundsechzig Spiele (und ich habe noch mehr, nämlich einhunderteinundzwanzig in einem Haus nahe der Küste in Maryland), alle alphabetisch geordnet.
Natürlich bevorzuge ich die anspruchsvolleren Spiele. Mein aktueller Favorit ist Arimaa, das erst vor Kurzem erfunden wurde und eine Variation von Schach darstellt, aber so elegant und anspruchsvoll, dass der Preis seines Schöpfers für jeden, der ein Computerprogramm dafür schreiben kann, bisher noch nicht eingefordert wurde. Schach selbst ist natürlich ein gutes Spiel,
und ich spiele es sehr gern. Es wurde allerdings so ausführlich beschrieben, studiert und dekonstruiert, dass ich, wenn ich einem erfahrenen Gegner gegenübersitze, oft das Gefühl habe, nicht gegen ihn, sondern gegen eine Schar verstaubter, exzentrischer Geister zu spielen.
Was mag ich an Brettspielen im Gegensatz zu, sagen wir, Computerspielen, die sicherlich dieselbe intellektuelle Herausforderung bieten?
Zum einen mag ich die Kunst. Das Design des Bretts, der Spielfiguren, der Karten und Würfel, der Kreisel und der Accessoires aus Holz, Plastik oder Elfenbein. Die Ästhetik erfreut mich, und es gefällt mir, dass sie außerdem einem Zweck dienen, sofern man Spielen nützlich nennen kann.
Ich mag es, dass ein Brettspiel langlebig ist und dass man es berühren kann. Es verschwindet nicht, wenn man einen Schalter drückt oder einen Stecker aus der Wand zieht.
Am wichtigsten jedoch: Ich sitze gern einem Menschen gegenüber, meinem Gegner. Vieles in meinem Leben hat damit zu tun, dass ich ein Spiel auf Leben und Tod gegen Leute wie Henry Loving spiele, die unsichtbar für mich sind und deren Gesichtsausdruck ich mir nur vorstellen kann, wenn sie ihre Strategien ersinnen, um meine Mandanten zu fangen oder zu töten. Wenn ich Schach, Go oder Euphrat und Tigris spiele – ein sehr gutes Spiel, nebenbei bemerkt – kann ich Menschen dabei beobachten, wie sie ihre Strategie wählen, und feststellen, wie sie auf meine Züge reagieren.
Selbst der Technik-Freak Bill Gates ist eingeschworener Bridge-Spieler, habe ich gehört.
Jedenfalls haben Spiele meinen Verstand geschärft, und sie helfen mir als Schäfer.
Genau wie es die Spieltheorie tut, für die ich mich zu interessieren begann, während ich mein Diplom in Mathematik erwarb und außerdem nur so zum Spaß in der akademischen
Welt herumhing und meinen Eintritt in die echte Welt hinausschob.
Die Spieltheorie wurde zuerst in den 1940er-Jahren diskutiert, obwohl die Idee bereits seit Jahren herumgeisterte. Die Wissenschaftler, die sie formulierten, haben ursprünglich Spiele wie Bridge und Poker sowie selbst einfache Wettbewerbe wie Schere, Stein, Papier oder Münzwerfen analysiert, nicht mit dem Ziel, Hilfestellung zum Sieg bei Freizeitaktivitäten zu geben, sondern Entscheidungsprozesse zu studieren.
Einfach ausgedrückt geht es bei der Spieltheorie darum, die beste Wahl bei einem Konflikt unter Teilnehmern – Gegnern oder Partnern – zu treffen, wenn kein Beteiligter weiß, was der andere tun wird.
Ein klassisches Beispiel ist das Gefangenendilemma: Zwei Kriminelle werden gefangen und in getrennten Zellen festgehalten. Die Polizei stellt beide vor die Wahl, zu gestehen oder nicht zu gestehen. Sie wissen zwar nicht, was der andere tun wird, aber man sagt ihnen, dass es zu beiderseitigem Vorteil ist, wenn sie gestehen; sie werden dann nicht straffrei ausgehen, aber eine vergleichsweise milde Strafe erhalten.
Es besteht aber auch die Chance, dass sie – indem sie nicht gestehen – überhaupt keine Strafe erhalten, es ist allerdings riskanter … denn sie könnten auch eine wesentlich höhere erhalten.
Zu gestehen ist die »rationale«
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