Schutzlos: Thriller (German Edition)
Ordnung war. Sie fing meinen Blick erneut auf, senkte den Kopf und setzte das Gespräch fort. Sie gab sich Mühe, lebhaft bei der Sache zu sein, während ihre Stieftochter sie offenbar mit einem langen Bericht von ihrem Tag auf dem Land bombardierte.
Ryan nahm das Telefon, seine Miene wurde weicher, und auch er führte ein langes Gespräch mit seiner Tochter.
Eltern und Kinder.
Für einen Moment tauchten einige Erinnerungen von früher auf, ein paar Kindergesichter darunter, Erinnerungen, die ich nicht haben wollte. Ich schob sie beiseite. Nicht immer gelang es mir gleich gut. Heute Abend verschwanden sie langsamer als sonst.
Ich stieg wieder ein, und als die Tür zufiel, fuhr Ryan erschrocken herum und griff nach seiner Waffe. Ich erstarrte kurz, aber er begriff die Lage und entspannte sich.
Gütiger Himmel, wollte er denn alle Welt erschießen?
Als ich losfuhr, läutete mein Telefon, und die Anruferkennung kündigte eine Nummer an, die ich als zum Justizministerium gehörig identifizierte. Mein Finger schwebte über der Taste für »Akzeptieren«.
Aber ich drückte sie nicht. Der Anruf ging auf den Anrufbeantworter, und ich steuerte den Yukon auf die Hauptstraße zurück.
19
Weitere dunkle, kurvenreiche Straßen.
Niemand war hinter uns, es sei denn jemand, der ohne Licht fuhr, was dank der neuen Nachtsichtsysteme möglich war. Aber so wie ich fuhr – schnell, dann langsam, mit gelegentlichen abrupten Stopps und überraschenden Abbiegemanövern in Straßen, die ich gut kannte, Loving hingegen schwerlich – war ich überzeugt, dass uns niemand folgte.
Nach vierzig Minuten traf ich kurz auf die Route 7, dann auf die Georgetown Pike, der ich bis zur River Bend Road folgte. Dann ließ ich die Innenstadt von Great Falls seitlich liegen und nahm eine Reihe von verwinkelten Straßen, auf denen GPS hilfreich, aber nicht maßgeblich war.
Nach einer Fahrt durch dichten Wald, bei der wir nicht mehr als drei Häuser passierten – drei sehr große Häuser –, kamen wir schließlich auf das Grundstück des sicheren Hauses, das von einem zwei Meter hohen Palisadenzaun und einem dahinterliegenden ebenso hohen Maschendrahtzaun von der Straße getrennt war.
Auf dem Grundstück standen ein Haupthaus mit sieben Schlafzimmern, zwei Außengebäude – eins davon ein Panikraum – und zwei große Garagen, außerdem eine Scheune samt Heuboden und allem Drum und Dran. Das Gelände war fast fünf Hektar groß und grenzte an den Potomac, den turbulenten Teil, die Engstelle, wo es tatsächlich eine Reihe von Wasserfällen und Stromschnellen gibt, wenngleich »Great Falls« in jeder Hinsicht übertrieben ist. »Bescheiden, aber pittoresk« würde es besser treffen.
Die Immobilie war ein Schnäppchen gewesen. Man kann heutzutage nicht mehr beim Staat arbeiten, ohne kostenbewusst zu sein. In den Neunzigerjahren war das Grundstück der Wohnsitz
chinesischer Diplomaten gewesen, ein Rückzugsort von der Botschaft im Zentrum. Wie das FBI herausfand, war es außerdem der Ort, an dem die Geheimpolizei der Volksrepublik regelmäßig ihre Boten und Agenten traf, die Informationen von Unternehmen und Staatsangestellten der unteren Ebenen gesammelt und Bilder von NSA, CIA und anderen Einrichtungen, über die man nicht sprach, gemacht hatten. Ein großer Teil der Arbeit bestand im Diebstahl von Firmeninformationen, wie sich herausstellte, weniger von militärischen Geheimnissen. Aber es war politisch unschön und selbstredend illegal.
Als die Chinesen aufflogen, beinhalteten die heiklen Verhandlungen unter anderem ein Abkommen, wonach die Diplomaten und falschen Geschäftsleute straffrei das Land verlassen würden und die Regierung im Gegenzug dieses Haus erhielt … sowie einige andere, nicht veröffentlichte Wohltaten. Das Anwesen war von verschiedenen Geheimdienstorganisationen als Versteck benutzt worden, bis es sich Abe Fallow vor rund acht Jahren für uns gesichert hatte.
Das große, braun gestrichene Gebäude aus dem 19. Jahrhundert war nachträglich mit all dem Drum und Dran an moderner Sicherheitstechnik ausgestattet worden, das wir uns leisten konnten. Was nicht so hochtechnologisch und sexy war, wie man vielleicht glauben würde. Es gab Sensoren am Zaun, die allerdings nur Leute abschrecken würden, die noch nie etwas von Sensoren an Zäunen gehört hatten. Das Grundstück selbst war nicht durchgehend überwacht, aber an wichtigen Zugangsrouten (nicht unbedingt an den offensichtlichen) waren Gewichtssensoren im Boden
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